13.12.2013

Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

Die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung ist nicht mit der Charta der Grundrechte vereinbar - das ist das Ergebnis des hierzu erstellten Gutachtens von Generalanwalt Cruz Villalón. Er schlägt jedoch vor, die Wirkungen der Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie auszusetzen, um dem Unionsgesetzgeber Gelegenheit zu geben, die Richtlinie innerhalb einer angemessenen Frist entsprechend anzupassen.

EuGH, C-293/12 u.a.: Schlussanträge des Generalanwalts vom 12.12.2013
Der Sachverhalt:
Die Schlussanträge betreffen zwei Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Ireland (Irland) und des Verfassungsgerichtshofs (Österreich) im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung mit der Charta der Grundrechte der EU.

Der High Court hat über einen Rechtsstreit (C‑293/12) zwischen der Digital Rights Ireland Ltd, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die sich nach ihrer Satzung mit der Förderung und dem Schutz der Bürger- und Menschenrechte - insbes. in der Welt der modernen Kommunikationstechnologien - befasst, und den irischen Behörden zu entscheiden. Im Rahmen dieses Rechtsstreits macht Digital Rights, die angibt, Eigentümerin eines Mobiltelefons zu sein, geltend, die irischen Behörden hätten die mit ihren Kommunikationsvorgängen verbundenen Daten rechtswidrig verarbeitet, auf Vorrat gespeichert und kontrolliert.

Der Verfassungsgerichtshof hat über drei Anträge (C‑594/12) zu entscheiden, die von der Kärntner Landesregierung, Herrn Michael Seitlinger und 11.130 weiteren Antragstellern eingebracht worden sind. Sie machen geltend, das österreichische Telekommunikationsgesetz verstoße gegen die österreichische Verfassung.

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts:
Die Richtlinie ist in vollem Umfang mit dem in der Charta der Grundrechte der EU verankerten Erfordernis unvereinbar, dass jede Einschränkung der Ausübung eines Grundrechts gesetzlich vorgesehen sein muss. Sie stellt einen qualifizierten Eingriff in das Grundrecht der Bürger auf Achtung des Privatlebens dar, weil sie den Anbietern telefonischer oder elektronischer Kommunikationsdienste eine Verpflichtung zur Erhebung und Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten auferlegt. Die Auswertung dieser Daten ermöglicht es, ein umfassendes Bild von den privaten Verhaltensweisen einer Person zu erstellen. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten zu rechtswidrigen, potenziell die Privatsphäre verletzenden Zwecken verwendet werden, da die Daten nicht von Behörden, sondern von den Anbietern der Kommunikationsdienste selbst gespeichert werden.

Demzufolge hätten in der Richtlinie zwingend zunächst die Grundprinzipien definiert werden müssen, die für die Festlegung der Mindestgarantien im Rahmen der Erhebung und Speicherung der Daten und ihrer Auswertung gelten sollten. So hätten z.B. die Straftatbestände, die den Zugang zu den Daten rechtfertigen können, präziser als nur mit der Angabe "schwere Straftaten" beschrieben werden müssen. Der EU-Gesetzgeber hätte auch den Grundsatz aufstellen müssen, dass Behörden, die Zugang zu den Daten erhalten, verpflichtet sind, diese zu löschen, sobald sie nicht mehr benötigt werden, und die Betroffenen über den erfolgten Zugang zu informieren, jedenfalls nachträglich. Die Richtlinie überlässt es jedoch den Mitgliedstaaten, derartige Garantien festzulegen und einzuführen.

Die Richtlinie ist darüber hinaus auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar, soweit sie den Mitgliedstaaten vorschreibt, sicherzustellen, dass die Daten für die Dauer von bis zu zwei Jahren auf Vorrat gespeichert werden (Sie sieht i.Ü. auch vor, dass die Dauer der Vorratsspeicherung in keinem Fall sechs Monate unterschreiten darf). Die Richtlinie verfolgt zwar ein legitimes Endziel, nämlich die Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten sicherzustellen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum hierfür nicht auch eine von den Mitgliedstaaten festzulegende Frist für die Vorratsdatenspeicherung innerhalb eines Rahmens von weniger als einem Jahr genügen sollte.

Nach Abwägung der bestehenden verschiedenen Interessen kommt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass die Wirkungen der Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie ausgesetzt werden sollten, bis der Unionsgesetzgeber die Maßnahmen ergreifen kann, die erforderlich sind, um der festgestellten Ungültigkeit abzuhelfen. Dabei müssen die entsprechenden Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist getroffen werden.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Schlussanträge des Generalanwalts klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 157 vom 12.12.2013
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