06.11.2017

Schokoladenstäbchen III: Zur Unterscheidungskraft einer dreidimensionalen Marke

Bei der Prüfung, ob eine dreidimensionale Marke, die in der Form einer Ware besteht, Unterscheidungskraft aufweist, weil ihre Gestaltung erheblich von der Norm oder Branchenüblichkeit abweicht, ist auf ihren Gesamteindruck abzustellen. Die Frage, ob der Vertrieb einer Ware Auswirkungen darauf hat, ob und in welcher Weise der Verkehr eine Warenform im Zeitpunkt der Markenanmeldung oder der Schutzerstreckung als branchenüblich ansieht, ist nach den gesamten Gegebenheiten des betroffenen Marktsegments (z.B. Marktanteile, Umsätze oder Vertriebsumstände) zu beantworten.

BGH 6.4.2017, I ZB 39/16
Der Sachverhalt:
Für die Markeninhaberin ist seit dem 7.9.2005 die dreidimensionale IR-Marke-Nr. 869 586 für die Waren der Klasse 30 Cacao, chocolat, produits de chocolaterie eingetragen. In der Beschreibung der Marke heißt es: "La marque est constituée par la forme du produit évoquant un sarment de vigne." Seit dem 15.12.2005 ist der Schutz auf Deutschland erstreckt. Der Eintragung liegt die im französischen Markenregister enthaltene Ausgangseintragung Nr. 02 3188047 zugrunde, die im französischen Markenregister im Bild dargestellt ist.

Die Antragstellerin beantragte beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) die Schutzentziehung für Deutschland. Die Marke sei freihaltebedürftig und nicht unterscheidungskräftig. Außerdem genüge sie nicht dem Bestimmtheitsgebot. Die Markeninhaberin widersprach dem Schutzentziehungsantrag. Das DPMA wies den Antrag auf Schutzentziehung zurück.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin hob das BPatG den Beschluss des DPMA auf und entzog der IR-Marke mangels Bestimmtheit den Schutz für Deutschland. Auf die Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin hob der BGH diesen Beschluss auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BPatG zurück. Im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren hob das BPatG den Beschluss des DPMA erneut auf, soweit der Schutzentziehungsantrag in Bezug auf die Waren der Klasse 30 "chocolat" und "produits de chocolaterie" zurückgewiesen worden ist, entzog der IR-Marke insoweit den Schutz für Deutschland und wies die Beschwerde im Übrigen zurück.

Auf die Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin hob der BGH den Beschluss des BPatG auf, soweit zum Nachteil der Markeninhaberin erkannt worden ist, und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde hat u.a. deshalb Erfolg, weil das BPatG bei seiner Prüfung einen unrichtigen rechtlichen Maßstab angewendet und zu hohe Anforderungen an das Vorliegen von Unterscheidungskraft i.S.v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG gestellt hat. Mit der vom BPatG gegebenen Begründung kann der Streitmarke danach eine hinreichende Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden.

Es spricht schon der vom BPatG festgestellte, aber zu Unrecht für unmaßgeblich erachtete Umstand, dass kein identisches oder nahezu identisches Produkt auf dem Markt angeboten wurde und wird, für die Unterscheidungskraft des angegriffenen Zeichens. Bei der Beurteilung der Abweichungen vom branchenüblichen Formenschatz hat das BPatG die Prüfung sodann rechtsfehlerhaft auf isolierte, nach Auffassung des BPatG branchenübliche Merkmale des angegriffenen Zeichens eingeengt, ohne seinen Gesamteindruck zu berücksichtigen. Mit Blick auf mehrere Vergleichsprodukte hat das BPatG lediglich die dünne, längliche Grundform und den runden Durchmesser als wesentliche Merkmale der Streitmarke angesehen. Gleichermaßen augenfällig und optisch mitbestimmend ist jedoch die in einer Ebene vorhandene Wellenform, die die Streitmarke von den Vergleichsprodukten unterscheidet. Diese sind zylindrische, also gerade verlaufende Stäbchen.

Mit Blick auf ein weiteres Vergleichsprodukt und dessen unregelmäßige, leicht wellige Form hat das BPatG auch die Wellenform der Streitmarke als branchenüblich angesehen. Hierbei hat es jedoch verkannt, dass die Gesamtheit der Merkmale der Streitmarke einen vollständig anderen optischen Eindruck vermittelt als die Gestaltung des Vergleichsprodukts, das durch einen geschwungenen Linienverlauf vom schmaleren Mittelteil zu den breiteren Abrundungen an beiden Enden des Schokoladenstäbchens gekennzeichnet ist. Stellt man auf den Gesamteindruck der Streitmarke ab, der durch die Kombination einer länglichen, wellenförmigen Gestaltung mit einem rundem Durchmesser geprägt wird, so bestehen deutliche, für ein Mindestmaß an Unterscheidungskraft sprechende Abweichungen zu den Gestaltungen der genannten Vergleichsprodukte.

Die Annahme des BPatG, die Streitmarke weiche schon deshalb nicht erheblich von branchenüblichen Gestaltungen ab, weil die Antragstellerin vor der Schutzerstreckung der Streitmarke am 7.9.2005 ab April 2005 ein Produkt über die Supermarktkette Aldi Nord vertrieben habe, das der Streitmarke mit Ausnahme des runden Querschnitts nahezu identisch gewesen sei, wird durch die vom BPatG getroffenen Feststellungen nicht getragen. Das BPatG hat angenommen, der bis zum 31.9.2005 erzielte Verkauf von rd. 2,4 Mio. Packungen des Produkts " mit einem Umsatz von rd. 2,2 Mio. € habe die Verkehrsanschauung dahingehend beeinflusst, dass von einer Branchenüblichkeit dieser Produktgestaltung gesprochen werden könne. Hierfür erscheine ausreichend, dass ein Produkt über eine große Supermarktkette vertrieben und ein Umsatz von über 2 Mio. € erzielt werde, ohne dass es darauf ankomme, welcher Anteil am Gesamtmarkt, gemessen in Tonnen, dem Produkt der Antragstellerin zuzurechnen sei.

Diese Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, das Verkehrsverständnis sei durch den Vertrieb des genannten Produkts maßgeblich beeinflusst worden. Die Frage, ob der Vertrieb einer Ware Auswirkungen darauf hat, ob und in welcher Weise der Verkehr eine Warenform im Zeitpunkt der Markenanmeldung oder der Schutzerstreckung als branchenüblich ansieht, kann regelmäßig nicht allein unter Hinweis auf absolute Vertriebsdaten eines einzelnen Anbieters beantwortet werden. Vielmehr sind hierfür die gesamten Gegebenheiten des betroffenen Marktsegments - etwa die dort bestehenden Marktanteile, die erzielten Umsätze, die räumliche und zeitliche Ausdehnung des Vertriebs und sonstige Vertriebsumstände - in den Blick zu nehmen. Bei einem - wie hier - nur kurze Zeit andauernden, nicht das gesamte Bundesgebiet erfassenden Produktvertrieb über nur einen Filialisten sind dabei keine geringen Anforderungen an eine Beeinflussung der Verkehrsauffassung zu stellen. Diesen Anforderungen werden die Feststellungen des BPatG nicht gerecht, so dass sie die Annahme nicht tragen, der Vertrieb des Produkts von Aldi-Nord habe das Verkehrsverständnis der branchenüblichen Formgebung von Schokolade und Schokoladenwaren vor der Schutzerstreckung der Streitmarke maßgeblich beeinflusst.

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