08.11.2023

Streit um Klappkisten: Wann kommt einem Erzeugnis wettbewerbliche Eigenart zu?

Gegenstand des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes können Leistungs- und Arbeitsergebnisse aller Art sein. Maßgebend ist, ob dem Erzeugnis wettbewerbliche Eigenart zukommt, ob also seine konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Es geht nicht um einen Ideen- oder Konzeptschutz, sondern um die konkrete Gestaltung, die als Leistungsergebnis wettbewerblichen Schutz genießen kann.

OLG Hamburg v. 12.10.2023 - 5 U 104/22
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist eine niederländische Warenhauskette. Seit 2002 betreibt sie über ihre deutsche Tochtergesellschaft, H. GmbH & Co. KG Deutschland, Filialen in Deutschland. Daneben vertreibt sie Antragstellerin ihre Produkte in Deutschland über ihren deutschen Onlineshop. Das von der Antragstellerin vertriebene Verfügungsmuster ist eine "Buchstaben-Klappkiste", bestehend aus einer Klappkiste und Buchstaben zum Beschriften dieser Klappkiste. Das Angebot erfolgt in verschiedenen Größen und Farben. Klappkiste und Buchstaben-Set werden von der Antragstellerin separat verkauft. Die Kiste wird mit dem Produktnamen "Buchstabentafel-Klappkiste" beworben.

Die Antragsgegner hatten in einem Aktionszeitraum vom 18.7.2022 bis 23.7.2022 auf dem deutschen Markt Exemplare eines Verletzungsmusters angeboten. Sowohl in der Werbung als auch auf der Verpackung wurde die Bezeichnung "LIVARNO HOME" verwendet. Auch nach Ablauf des Aktionszeitraums wurden Exemplare des Verletzungsmusters in einem Markt in Hamburg verkauft. Die Buchstaben-Klappkiste in Größe "S" kostet 5,50 € und das zugehörige, separat erhältliche Buchstaben-Set 3,50 €. Das angegriffene "LIVARNO HOME" Produkt kostet als Set nur 3,99 €.

Die Antragstellerin war der Ansicht, ihr stehe ein Unterlassungsanspruch aus §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a und lit. b sowie §§ 4 Nr. 4, 8 Abs. 1 UWG zu. Ihr Verfügungsmuster verfüge über wettbewerbliche Eigenart, da keines der auf dem Markt angebotenen Drittprodukte über die Kombination der folgenden Gestaltungsmerkmale verfüge. Die Antragsgegner hielten dagegen, dem Verfügungsmuster fehle die wettbewerbliche Eigenart. Unterschiede im Vergleich zum vorbekannten Formenschatz reichten nicht aus, um eine wettbewerbliche Eigenart zu begründen.

Das LG hat dem Verfügungsantrag stattgegeben. Es hat gemeint, es bestehe ein Verfügungsgrund. Dass der Aktionszeitraum abgelaufen sei, lasse die Eilbedürftigkeit nicht entfallen. Es bestehe ein Verfügungsanspruch gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a, 8 Abs. 1 UWG aufgrund einer wettbewerbswidrigen Herkunftstäuschung. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.

Die Gründe:
Das LG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung dem Verfügungsantrag aus dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Herkunftstäuschung (§§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a, 8 Abs. 1 UWG) stattgegeben.

Der Umstand, dass der Aktionszeitraum bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz und auch bei Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat bereits abgelaufen war, ließ die Dringlichkeit nicht entfallen. Zwar kann die Dringlichkeitsvermutung entfallen, wenn der Verstoß im Zeitpunkt der Antragstellung, spätestens im Zeitpunkt der frühestmöglichen Vollziehung der einstweiligen Verfügung, beendet und seiner Natur nach (z.B. Weihnachtsverkauf) erst nach längerer Zeit wiederholbar ist. Entscheidend ist, ob der Antragsteller in der Zwischenzeit einen mindestens vorläufigen Titel im Hauptsacheverfahren erwirken könnte. Solch ein Verstoß war hier jedoch bereits nicht gegeben. Denn der Verkauf der angegriffenen Produkte ist jederzeit wiederholbar.

Zu Recht war das LG auch von einem begründeten Verfügungsantrag gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a, 8 Abs. 1 UWG ausgegangen. Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz dienen vorrangig dem Schutz individueller Leistungen und daneben dem Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb. Sie sollen grundsätzlich nur von demjenigen geltend gemacht werden können, der die zu schützenden Leistungen erbracht hat. Das ist in der Regel der Hersteller der nachgeahmten Ware. Dabei ist Hersteller, wer das Erzeugnis in eigener Verantwortung herstellt oder von einem Dritten herstellen lässt und über das Inverkehrbringen entscheidet. Nicht erforderlich ist, dass der Hersteller zugleich der Schöpfer oder Urheber des Originalprodukts ist.

Der Einwand, es fehle an der wettbewerblichen Eigenart des Verfügungsmusters, blieb ebenfalls ohne Erfolg. Gegenstand des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes können Leistungs- und Arbeitsergebnisse aller Art sein. Maßgebend ist, ob dem Erzeugnis wettbewerbliche Eigenart zukommt, ob also seine konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Es geht nicht um einen Ideen- oder Konzeptschutz, sondern um die konkrete Gestaltung, die als Leistungsergebnis wettbewerblichen Schutz genießen kann. Es lag mit den Verletzungsmustern eine nahezu identische Nachahmung vor. Insofern ist der Senat der landgerichtlichen Bewertung gefolgt.

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