09.05.2014

Zu den Anforderungen an eine erfinderische Tätigkeit - Farbversorgungssystem

In Fällen, in denen eine maschinenbautechnische Lösung als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Ingenieurs gehört, kann ihre Heranziehung bereits dann notwendig sein, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen.

BGH 11.3.2014, X ZR 139/10
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin eines mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents, das im März 1997 angemeldet worden war. Es beinhaltet ein Farbversorgungssystem, für die Serienbeschichtung von Werkstücken, insbesondere Fahrzeugkarossen. Für das Beschichten kommen u.a. elektrostatische Auftragssysteme in Betracht, wobei jedoch elektrisch leitende Beschichtungsmaterialien Probleme bereiten können, wenn das Material direkt über Schläuche mit der Sprühvorrichtung verbunden ist.

Das im Streitpatent als Stand der Technik beschriebene System vermeidet solche Probleme, indem die Sprühvorrichtung mit auswechselbaren Farbbehältern in einer Sprühkabine von einem Lackierroboter getragen ist und sich Zapfstellen in der Sprühkabine befinden, von denen der Lackierroboter die mit Farbe befüllten Farbbehälter nach Bedarf abholt. So sollen beim Befüllen der Farbbehälter die Verluste möglichst gering gehalten und der Beschichtungsvorgang möglichst verzögerungsfrei gestaltet werden.

Die Klägerin hatte geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Das Patentgericht erklärte das Streitpatent daraufhin für nichtig. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Der Gegenstand des Streitpatents ist nicht patentfähig, weil er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

In welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fachmann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lösung in bestimmter Weise weiterzuentwickeln, ist nach BGH-Rechtsprechung eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Sachverhaltselemente erfordert. Dabei sind nicht etwa nur ausdrückliche Hinweise an den Fachmann beachtlich. Vielmehr können auch Eigenarten des in Rede stehenden technischen Fachgebiets, insbesondere betreffend die Ausbildung von Fachleuten, die übliche Vorgehensweise bei der Entwicklung von Neuerungen, technische Bedürfnisse, die sich aus der Konstruktion oder der Anwendung des in Rede stehenden Gegenstands ergeben und auch nicht-technische Vorgaben eine Rolle spielen.

Es stand daher der Annahme, der Fachmann habe Anlass gehabt, bei der Ausgestaltung einer Anlage zur Serienbeschichtung von Werkstücken in Übereinstimmung mit Merkmal 3 (Farbversorgungssystem) zu verfahren, nicht notwendigerweise entgegen, dass die Klägerin ein Vorbild hierfür auf dem Gebiet der Beschichtungsanlagen nicht hatte aufzeigen können. Gehört eine maschinenbautechnische Lösung als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Ingenieurs, kann Veranlassung zu ihrer Heranziehung vielmehr bereits dann bestehen, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen. Und genauso verhielt es sich im vorliegenden Fall.

Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen stand fest, dass das parallele Zuführen von zwei Behältern zur Farbversorgungseinrichtung ebenso wie das Zuführen eines befüllten Behälters zur Transporteinrichtung in einem Vorgang zusammen mit dem Zuführen eines leeren Behälters zur Farbversorgungseinrichtung eine Verfahrensweise betrifft, die der Grundidee nach dem Fachmann als Mittel bekannt ist, um ein Handhabungsverfahren oder -system effizienter und damit objektiv zweckmäßiger zu gestalten und auf diese Weise zu optimieren. Das parallele Handhaben von zwei Objekten statt einem zählt damit zum allgemeinen Fachwissen des hier berufenen Ingenieurs i.S. eines "Standardrepertoires", auf das er regelmäßig bei der Weiterentwicklung vorhandener Anlagen insbesondere dann zurückgreifen kann und zurückzugreifen Anlass hat, wenn es ihm um möglichst effektive, effiziente und zeitsparende Abläufe zu tun sein muss.

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