18.04.2013

Zu einer die Inkongruenz begründenden - im Mahnschreiben nur zwischen den Zeilen zu lesenden - Drohung mit einem Insolvenzantrag

Eine die Inkongruenz begründende Drohung mit einem Insolvenzantrag kann auch dann vorliegen, wenn die Möglichkeit eines solchen Vorgehens im Mahnschreiben nur "zwischen den Zeilen" deutlich gemacht, aber dem Schuldner das damit verbundene Risiko klar vor Augen geführt wird. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen der Androhung des Insolvenzantrags und der angefochtenen Deckungshandlung ist gegeben, wenn zum Zeitpunkt der Zahlung aus objektivierter Sicht die Wirkungen der Drohung noch angedauert haben.

BGH 7.3.2013, IX ZR 216/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der W-AG (Schuldnerin) im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr von Zahlungen, welche die Schuldnerin zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten an den Beklagten geleistet hat.

Die Schuldnerin gab seit 1999 Inhaberschuldverschreibungen aus, wovon der Beklagte zwei erwarb. Nachdem die Schuldnerin ihrer Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Beklagten nicht nachgekommen war, mahnte dieser die Schuldnerin am 12.2. und 5.3.2006 erfolglos. Am 4.4.2006 mahnte der vom Beklagten beauftragte Rechtsanwalt die Schuldnerin. In der Mahnung wird eine Zahlungsfrist bis 11.4.2006 gesetzt. Anschließend heißt es:

"Sollten Sie diese Frist verstreichen lassen, bin ich beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, um die Forderung meines Mandanten durchzusetzen, d.h., wir werden ohne weitere Mahnung Klage erheben. Mein Mandant kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass (die Schuldnerin) nicht in der Lage ist, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen (wofür in der Tat einiges spricht). Sollte sich dieser Verdacht erhärten und wir keinen Zahlungseingang innerhalb der vorgegebenen Frist verzeichnen können, so behalten wir uns ausdrücklich vor, Insolvenzantrag zu stellen."

Die Schuldnerin überwies am 12.4.2006 den eingeforderten Betrag einschließlich Zinsen und Anwaltskosten, insgesamt rd. 11.300 €. Auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 19.6.2006 wurde am 1.9.2006 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Der Kläger behauptet, die Schuldnerin sei seit 11.1.2006 zahlungsunfähig gewesen. Die Zahlung sei inkongruent, weil der Vertreter des Beklagten die Schuldnerin mit der Drohung, Insolvenzantrag zu stellen, unter Druck gesetzt habe. Dem anwaltlichen Vertreter des Beklagten sei die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin aus einer Vielzahl von Mandaten bekannt gewesen.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Zahlung, die der Beklagte von der Schuldnerin erhalten hat, ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

Die Annahme des OLG, es liege eine Drohung mit einem Insolvenzantrag vor, ist nicht zu beanstanden. Wer den Insolvenzantrag zur Durchsetzung von Ansprüchen eines einzelnen Gläubigers missbraucht, erhält eine Leistung, die ihm nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auf diesem Weg nicht zusteht. Die Leistung ist inkongruent, auch außerhalb des Dreimonatszeitraums der Deckungsanfechtung. Entsprechendes gilt, wenn ein Insolvenzantrag nicht gestellt, sondern nur angedroht ist. Eine die Inkongruenz begründende Drucksituation ist dann anzunehmen, wenn sich die mit der Mahnung verbundenen Hinweise auf ein mögliches Insolvenzverfahren nicht in Unverbindlichkeiten erschöpfen, sondern gezielt als Mittel der persönlichen Anspruchsdurchsetzung verwendet werden.

Die Grenze zwischen einer unbedenklichen Mahnung und einer die Inkongruenz begründenden Drohung ist vorliegend überschritten. Eine zur Abwendung der Einzelzwangsvollstreckung erbrachte Leistung ist nach der Rechtsprechung des Senats inkongruent, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner - objektivierten - Sicht damit rechnen muss, dass ohne sie der Gläubiger nach dem Ablauf der Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung beginnt. Für die Frage, ob eine die Inkongruenz begründende Drohung mit einem Insolvenzantrag vorliegt, ist es ausreichend, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner - ebenfalls objektivierten - Sicht ernsthaft damit rechnen muss, der Gläubiger werde nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist Insolvenzantrag stellen. Hierfür genügt eine Formulierung, die dies zwar nicht ausdrücklich androht, ein derart geplantes Vorgehen aber "zwischen den Zeilen" deutlich werden lässt.

Wird ein Insolvenzantrag wie vorliegend für den Fall "vorbehalten", dass sich der Verdacht der Zahlungsunfähigkeit erhärten sollte und kein Zahlungseingang festzustellen sei, so wird für den Schuldner durch eine solche Formulierung klar erkennbar die Möglichkeit des Insolvenzantrags in den Raum gestellt. Er soll sich gerade des damit verbundenen Risikos bewusst werden. Dies ist jedoch ausreichend, um die Wirkung einer Drohung mit einem Insolvenzantrag zu entfalten.

Das OLG hat auch den erforderlichen zeitlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Drohung und Zahlung zutreffend bejaht. Nach der Rechtsprechung des Senats bedarf es auch im Falle der Drohung mit einem Insolvenzantrag eines Zurechnungszusammenhangs zwischen der Drohung und der Zahlung. Entscheidend ist hierbei, ob die aus objektivierter Sicht zu beurteilende Wirkung der Androhung bis zur Zahlung fortgewirkt hat, ggf. über die gesetzte Zahlungsfrist hinaus. Hier erfolgte die Zahlung einen Tag nach Ablauf der gesetzten Frist. Die Wirkungen der Drohung gegen die Schuldnerin dauerten offenkundig noch an.

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