21.01.2014

Zum Recht der Zivilgerichte auf Einsichtsnahme in Akten über Kartellordnungswidrigkeiten

Geschäftliche Informationen über Kartellanten, die sich aus den zu einer Kartellordnungswidrigkeit geführten Akten ergeben, darf die aktenführende Staatsanwaltschaft einem Zivilgericht, das über einen mit dem Kartellverstoß begründeten Schadensersatzanspruch zu entscheiden hat, im Wege der Akteneinsicht zugänglich machen. Daran ändert auch die den Kartellanten in Kronzeugenprogrammen zugesicherte Vertraulichkeit nichts.

OLG Hamm 26.11.2013, 1 VAs 116/13 u.a.
Der Sachverhalt:
Die antragstellenden Kartellanten, in Deutschland ansässige Firmen, gerieten in den Verdacht, durch wettbewerbswidrige Absprachen den Bausektor betreffende Märkte in Europa untereinander aufgeteilt zu haben. Um die wegen Kartellverstößen zu erwartenden Geldbußen zu reduzieren, stellten sie Anträge nach Kronzeugenregelungen, mit denen sie wettbewerbswidrige Ansprachen einräumten. Für in Deutschland in der Zeit von 1995 bis 2003 begangene Kartellverstöße wurden gegen die Kartellanten schließlich Geldbußen i.H.v. über 250 Mio. verhängt.

Mehrere deutsche Baufirmen nehmen die Kartellanten nunmehr in einem beim LG Berlin anhängigen Zivilprozess auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG forderte in diesem Zusammenhang die Akten eines bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf geführten Kartellordnungswidrigkeitsverfahrens einschließlich der dort aktenkundigen Angaben zu den Kronzeugenanträgen und Bußgeldentscheidungen zur Einsicht an. Die klagenden Firmen hätten dies zur Beweisführung hinsichtlich der illegalen Kartellabsprachen beantragt, da ihnen ein weitergehender Vortrag zu den geheimgehaltenen Kartellabsprachen nicht möglich sei.

Die Kartellanten widersprachen dem Akteneinsichtsgesuch insbes. unter Hinweis auf die in den Kronzeugenregelungen zugesicherte Vertraulichkeit betreffend geschäftlicher Informationen. Nachdem die aktenführende Staatsanwaltschaft angekündigt hatte, dem LG Berlin die beantragte Akteneinsicht zu gewähren, stellten die Kartellanten Anträge auf gerichtliche Entscheidung.

Das OLG wies die Anträge der Kartellanten zurück. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die aktenführende Staatsanwaltschaft hat sich i.S.d. §§ 474ff StPO zu Recht für die Gewährung der Akteneinsicht entschieden.

Das LG Berlin kann als Zivilgericht um die Akteneinsicht ersuchen, die nach der gesetzlichen Bestimmung in der Regel auch zu gewähren ist. Im Unterschied zum Akteneinsichtsgesuch einer Partei unterliegt das für Zwecke der Rechtspflege gestellte Akteneinsichtsgesuch einer Justizbehörde weniger strengen Regeln. Die Prüfung, ob die Kenntnis des Akteninhalts für die anfordernde Stelle erforderlich ist, obliegt dabei der anfordernden und nicht der ersuchten Stelle.

Die aktenführende Staatsanwaltschaft prüft lediglich, ob das Übermittlungsersuchen im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt, was im vorliegenden Fall zweifellos zu bejahen ist. Weitergehende Nachforschungen hat sie als ersuchte Behörde grundsätzlich nicht anzustellen. Demgegenüber hat das LG Berlin nach Übersendung der Akten in eigener Verantwortung zu prüfen, inwieweit die durch die Akteneinsicht erlangten Daten im Zivilprozess unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen der dort verklagten Kartellanten zu verwenden sind.

Eine weitergehende Prüfungspflicht der Staatsanwaltschaft als der übermittelnden Stelle bestand auch nicht aufgrund eines besonderen Anlasses. Ein solcher ergibt sich nicht aus der einem Kartellanten im Rahmen der Kronzeugenregelung zugesicherten Vertraulichkeit. Diese macht die offenbarten geschäftlichen Informationen nicht zu einer ungewöhnlichen Art von Daten. Die in den Kronzeugenanträgen herausgegebenen Informationen stellen letztendlich nichts anderes dar, als eine selbstbelastende Einlassung der an den Ordnungswidrigkeiten Beteiligten. Dass sie im Rahmen einer Kronzeugenregelung gemacht wurden, verleiht ihnen eine besondere Bedeutung, verändert aber die Information als solche nicht.

Das den Kartellanten grundsätzlich zustehende Recht auf Schutz ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigt es nicht, bereits die Akteneinsicht an das LG zu versagen. Diese Rechtspositionen sind bei einer zu gewährenden Akteneinsicht nahezu immer betroffen. Die im vorliegenden Fall in Frage stehenden geschäftlichen Informationen sind zudem knapp zehn Jahre alt und nach der Einschätzung des Senats als wirtschaftlich nicht mehr sensibel einzustufen. Gegenteiliges wird von den Kartellanten auch nicht konkret vorgetragen. Im Übrigen stellen Tatsachen, aus denen sich ein Kartellverstoß ergibt, in der Regel keine Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse dar, die schützenswert sind.

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OLG Hamm PM vom 20.1.2014
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