07.06.2011

Zum Wegfall von Haftungsbefreiungen und -begrenzungen beim Frachttransport

Der Umstand, dass es aufgrund von gleichzeitig beidseitig blockierenden Bremsen zu einem Reifenbrand an einem Lkw-Anhänger kommt, deutet nicht ohne weiteres darauf hin, dass der für einen Straßentransport benutzte Anhänger leichtfertig ohne ausreichende Wartung eingesetzt wurde. Es gibt keinen Erfahrungssatz, der besagt, dass ein solches Blockieren mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine unzureichende Wartung der Bremsanlage zurückzuführen ist.

BGH 13.1.2011, I ZR 188/08
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der F-GmbH (Insolvenzschuldnerin). Er macht gegen das beklagte Speditionsunternehmen einen Freistellungsanspruch wegen Beschädigung von Transportgut geltend. Die Insolvenzschuldnerin beauftragte die Beklagte im Juli 2005 zu festen Kosten mit dem Transport von vier Führerraumschränken und zwei Bedienpulten für ICT-2-Triebzüge, die sie im Auftrag von S hergestellt hatte, von ihrer Niederlassung in Bremen zu B in Halle/Saale (Empfängerin). Mit der Durchführung des Transports betraute die Beklagte die W-Spedition-GmbH (Unterfrachtführerin).

Die Empfängerin nahm das Gut zunächst ohne Beanstandungen entgegen. Einen Tag nach der Anlieferung rügte sie Brandschäden am Gut. Während des Transports hatten am Anhänger des Lastkraftwagens beide vordere Bremsen blockiert und die Gummireifen in Brand gesetzt. Dabei fing die Plane des Anhängers Feuer, das von der herbeigerufenen Feuerwehr gelöscht werden musste. S hat die Insolvenzschuldnerin wegen Beschädigung des Transportguts auf Schadensersatz i.H.v. rd. 1 Mio. € in Anspruch genommen.

Der Kläger hat behauptet, die von der Empfängerin festgestellten Schäden am Gut seien durch den Brand während der Obhutszeit der Unterfrachtführerin entstanden. Auf gesetzliche Haftungsbeschränkungen könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, weil die Unterfrachtführerin als ihre Erfüllungsgehilfin den Schaden durch qualifiziertes Verschulden herbeigeführt habe. Es sei davon auszugehen, dass die Unterfrachtführerin einen für den Transport ungeeigneten Lastkraftwagen eingesetzt habe. Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, eine leichtfertige Verursachung des Schadens könne der Unterfrachtführerin nicht angelastet werden. Der Fahrer habe das Fahrzeug und den Anhänger vor Fahrtantritt auf ihre Verkehrstüchtigkeit überprüft.

LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH die Urteile von LG und OLG insoweit auf, als diese über die gesetzliche Höchstbetragshaftung gem. § 431 Abs. 1 HGB hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt haben. Der BGH stellte fest, das die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von Schadensersatzansprüchen im Rahmen des Wertersatzes und der Schadensfeststellungskosten - begrenzt auf den Höchstbetragshaftung gem. § 431 Abs. 1 HGB - freizuhalten, und wies die Klage im Übrigen ab.

Die Gründe:
Das OLG hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung der Beklagten nach § 425 Abs. 1 HGB für die an den Führerraumschränken und Bedienpulten entstandenen Schäden bejaht. Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte von der Insolvenzschuldnerin als Fixkostenspediteurin i.S.v. § 459 HGB beauftragt worden ist und sich ihre Haftung demgemäß grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers (§§ 425 ff. HGB) richtet.

Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des OLG, der Beklagten sei es im Streitfall nach § 435 HGB verwehrt, sich auf die Haftungsbegrenzungen gem. § 431 Abs. 1 und 2 HGB zu berufen, weil der durch die Beschädigung des Transportguts eingetretene Schaden auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder der von ihr eingesetzten Unterfrachtführerin zurückzuführen sei. Das OLG hat angenommen, dass der durch beidseitig blockierende Bremsen verursachte Reifenbrand am Anhänger, auf dem das Frachtgut befördert wurde einen hinreichenden Anhaltspunkt für den Einsatz eines für den Transport ungeeigneten Lkw-Anhängers biete.

Die Revision rügt mit Erfolg, dass der Vortrag des Klägers entgegen der Ansicht des OLG für die Annahme eines bewusst leichtfertigen Handelns (§ 435 HGB) der Beklagten oder ihrer Unterfrachtführerin nicht ausreicht. Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute i.S.v. § 428 S. 2 HGB in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Der Kläger hat bislang keine konkreten Umstände dargelegt, die die Annahme begründen könnten, der von der Unterfrachtführerin eingesetzte Anhänger sei wegen schwerwiegender technischer Mängel für den durchzuführenden Transport nicht geeignet gewesen.

Eine derartige Annahme lässt sich entgegen der Auffassung des OLG nicht darauf stützen, dass die beiden vorderen Bremsen des Anhängers gleichzeitig blockierten. Die Ursache der Blockade wurde nicht geklärt. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz, dass ein solches Blockieren mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine unzureichende Wartung der Bremsanlage zurückzuführen ist. Hier kommt hinzu, dass ein Funktionstest der Bremsen vor Antritt der Fahrt komplikationslos verlief. Die Durchführung eines derartigen Tests vor Fahrtantritt war auch ausreichend. Es kann von einem Frachtführer nicht verlangt werden, dass er seine Transportfahrzeuge vor jedem Fahrtantritt von einem Kraftfahrzeugmechaniker auf ihre Betriebssicherheit hin überprüfen lässt.

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