27.09.2011

Zur Auslegung des Gesellschaftsvertrags einer Publikumsgesellschaft hinsichtlich der notwendigen Beschlussmehrheiten

Ist im Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft geregelt, dass über bestimmte Beschlussgegenstände nicht die Mehrheit der abgegebenen, sondern die Mehrheit der anwesenden Stimmen entscheidet, und ergibt die Auslegung des Vertrags, dass die Mehrheit der anwesenden Stimmen als Mehrheit aller teilnehmenden und nicht als Mehrheit der mit Ja oder Nein stimmenden Gesellschafter zu verstehen ist, sind bei schriftlicher Beschlussfassung mit den "anwesenden" Gesellschaftern im Regelfall nicht alle gemeint. Vielmehr sind darunter die Gesellschafter zu verstehen, die sich an der schriftlichen Abstimmung beteiligen.

BGH 19.7.2011, II ZR 209/09
Der Sachverhalt:
Der Kläger zu 3) ist unmittelbarer Kommanditist der Beklagten, einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer KG, an der sich ursprünglich mehr als 2000 Anleger als unmittelbare Kommanditisten oder mittelbar als Treugeber über die Treuhandkommanditistin beteiligt hatten. Die Nebenintervenientin ist als geschäftsführende Kommanditistin der Beklagten ebenso wie die beiden Komplementäre jeweils allein zur Geschäftsführung und Vertretung der Beklagten berechtigt und verpflichtet. Der Gesellschaftsvertrag (GV) enthält in §§ 16, 17 zur Beschlussfassung u.a. folgende Regelungen:

§ 16 Gegenstand der Gesellschafterversammlung

  • 1. Die Gesellschafterversammlung ist insbes. für folgende Beschlussfassungen zuständig: f) Änderungen des Gesellschaftsvertrages
  • 2. Soweit Beschlüsse nach lit. a), c), f), g), j), k), und l) gefasst werden, bedarf es einer 75-Prozent-Mehrheit der anwesenden Stimmen.

§ 17 Beschlussfassung

  • 1. Beschlüsse können in Gesellschafterversammlungen oder im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasst werden.
  • 2. Ein Beschluss im Wege der schriftlichen Abstimmung kommt nur zustande, wenn mindestens 10 Prozent der Stimmen aller Gesellschafter an der Abstimmung teilnehmen.
  • 3. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern nicht in diesem Vertrag oder durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen; bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.

Seit November 2005 unterbreitete die F-GmbH den Kommanditisten das Angebot, ihre Fondsanteile gegen Zahlung eines Teilbetrags der ursprünglichen Beteiligungssumme zu erwerben. Im September 2006 schlug die Streithelferin den Gesellschaftern vor, § 16 Abs. 2 GV in schriftlicher Abstimmung dahingehend zu ändern, dass § 16 Abs. 2 S. 2 und 3 GV ersatzlos aufgehoben werden. Im Oktober 2006 teilte die Streithelferin den Gesellschaftern mit, dass die Beschlussanträge mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden seien; an der Abstimmung hätten sich 80,38 Prozent der Gesellschafter beteiligt, die Beschlüsse seien mit einer Mehrheit von 76,83 Prozent und von 77,53 Prozent gefasst worden. Die Kläger beantragten, die Beschlüsse wegen formeller und materieller Beschlussmängel für nichtig zu erklären, hilfsweise die Nichtigkeit der Beschlüsse festzustellen.

Das LG wies die Klagen ab. Das KG gab der Klage teilweise statt und stellte fest, dass die gefassten Beschlüsse nichtig sind. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das KG zurück.

Die Gründe:
Die angefochtenen Änderungsbeschlüsse sind mit der in § 16 Abs. 2 S. 1 GV festgelegten Stimmenmehrheit gefasst worden. Das KG wird nun im zweiten Rechtsgang die weiter geltend gemachten Beschlussmängel zu prüfen haben.

Entgegen der Auffassung des KG verlangt § 16 Abs. 2 S. 1 GV bei schriftlicher Abstimmung über die in § 16 Abs. 2 GV genannten Beschlussgegenstände für das Zustandekommen eines Beschlusses nicht eine 75-Prozent-Mehrheit aller, sondern lediglich eine 75-Prozent-Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter, weil unter "anwesenden" Stimmen i.S.d. Vorschrift nicht sämtliche, sondern die an der schriftlichen Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter der Beklagten zu verstehen sind.

Das KG hat allerdings zutreffend angenommen, dass die Mehrheit der anwesenden Stimmen i.S.v. § 16 Abs. 2 S. 1 GV bei Beschlussfassung in der Versammlung ebenso wie bei schriftlicher Abstimmung als Mehrheit aller teilnehmenden und nicht als Mehrheit der mit Ja oder Nein abstimmenden Gesellschafter zu verstehen ist. Soll abweichend von den geltenden kapitalgesellschaftsrechtlichen Grundsätzen (§ 47 Abs. GmbHG) nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden, sollen also nicht nur die Ja- und Nein- Stimmen, sondern auch die Enthaltungen mit der Wirkung von Nein-Stimmen zählen, muss dies aus dem Gesellschaftsvertrag eindeutig hervorgehen, weil derjenige, der sich der Stimme enthält, seine Unentschiedenheit bekunden und gerade nicht mit Nein stimmen will.

Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach dem klaren Wortlaut des § 16 Abs. 2 S. 1 GV entscheidet über die dort genannten Beschlussgegenstände - anders als im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 3 S. 1 GV, der auf die abgegebenen Stimmen abstellt, zu denen Enthaltungen nicht gehören- die Mehrheit der anwesenden Stimmen. Anders als in der von der Revision herangezogenen Entscheidung des Senats (BGH 12.1.1987, II ZR 152/86) bestehen hier auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Formulierung in § 16 Abs. 2 S. 1 GV lediglich um eine Ungenauigkeit des Ausdrucks handelt. Vielmehr spricht alles dafür, dass den unterschiedlichen Formulierungen in § 17 Abs. 3 S. 1 GV und § 16 Abs. 2 S. 1 GV eine gewollte inhaltliche Unterscheidung zugrunde liegt.

Entgegen der Meinung des KG sind jedoch bei schriftlicher Beschlussfassung mit der Mehrheit der anwesenden Stimmen i.S.v. § 16 Abs. 2 S. 1 GV nicht alle, sondern nur die Gesellschafter gemeint, die sich an der schriftlichen Abstimmung beteiligen. Gegen die vom KG für richtig gehaltene Auslegung spricht schon, dass § 17 Abs. 2 S. 2 GV für die Beschlussfassung in schriftlicher Abstimmung ausdrücklich eine Teilnahme von mindestens 10 Prozent aller Gesellschafter verlangt. Hätte der Gesellschaftsvertrag auch bei schriftlichen Abstimmungen über die in § 16 Abs. 2 genannten Beschlussgegenstände eine bestimmte Mehrheit aller - und nicht nur der teilnehmenden - Gesellschafter fordern wollen, wäre zu erwarten, dass dieser Wille in § 16 Abs. 2 S. 1 GV ebenso unmissverständlich Ausdruck gefunden hätte wie in dem folgenden § 17 Abs. 2 S.2 GV.

Linkhinweis:

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  • Siehe auch die Entscheidung II 153/09.
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