22.10.2013

Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in Ergänzung" in Art. 1 § 3 CIM

Das Tatbestandsmerkmal "in Ergänzung" in Art. 1 § 3 CIM erfordert nicht, dass die Bahn den Übernahme- oder den Ablieferungsort etwa wegen Fehlens eines Gleisanschlusses nicht auf der Schiene erreichen kann. Es kommt vielmehr darauf an, dass der Straßenbeförderung im Verhältnis zur Schienenbeförderung lediglich eine untergeordnete Bedeutung zukommt.

BGH 9.10.2013, I ZR 115/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Transportversicherer der Grundig Intermedia GmbH in Nürnberg. Zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten besteht ein Rahmenvertrag über die Durchführung von Transporten. Die Versicherungsnehmerin hatte im Januar 2009 von einem in Istanbul ansässigen Unternehmen Waren aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik erworben. Das Gut verlud die Verkäuferin in einen anschließend von ihren Mitarbeitern verplombten Container.

Mit dem Transport des Containers von Istanbul nach Nürnberg beauftragte die Versicherungsnehmerin die Beklagte, die den Auftrag an ihre Streithelferinnen weitergab. Ob ein Fahrer der Beklagten bei der Beladung des Containers in Istanbul anwesend war oder ob der Fahrer den bereits verschlossenen und verplombten Container übernahm, blieb zwischen den Parteien streitig. Der Transport durch die Streithelferin zu 2) zum Containerbahnhof in Istanbul erfolgte per Lkw. Von dort wurde der Container auf der Schiene nach Nürnberg transportiert. Nach der Ankunft in Nürnberg übernahm ein Fahrer der Streithelferin zu 1) den Container und beförderte ihn zum Lager der Versicherungsnehmerin.

Die Klägerin behauptete später, dass auf der Ladeliste aufgeführte Waren im Wert von 30.719 € netto gefehlt hätten. Diesen Betrag sowie 13,5% entgangenen Gewinn und 659 € anteilige Frachtkosten machte die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend. LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Zu Unrecht hatte das OLG angenommen, eine Haftung der Beklagten für den von der Klägerin behaupteten Verlust von Transportgut beurteile sich hier nach den Vorschriften des deutschen Landfrachtrechts (§§ 407 ff. HGB), da die Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM Anhang B zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr) nicht anwendbar seien.

Nach Art. 1 § 3 CIM findet die CIM Anwendung, wenn eine internationale Beförderung, die Gegenstand eines einzigen Vertrags ist, in Ergänzung der grenzüberschreitenden Beförderung auf der Schiene eine Beförderung auf der Straße oder auf Binnengewässern im Binnenverkehr eines Mitgliedstaats einschließt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erfordert das Tatbestandsmerkmal "in Ergänzung" in Art. 1 § 3 CIM nicht, dass die Bahn den Übernahme oder den Ablieferungsort etwa wegen Fehlens eines Gleisanschlusses nicht auf der Schiene erreichen kann. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Straßenbeförderung im Verhältnis zur Schienenbeförderung lediglich eine untergeordnete Bedeutung zukommt.

Somit waren die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 1 § 3 CIM im vorliegenden Fall erfüllt. Die Beklagte war von der Versicherungsnehmerin einheitlich mit der Beförderung des hier in Rede stehenden Containers von Istanbul nach Nürnberg beauftragt worden. Die Hilfstransporte auf der Straße waren sowohl in der Türkei als auch in Deutschland im Verhältnis zur Schienenbeförderung lediglich von untergeordneter Bedeutung. Es handelte sich jeweils um einen Binnentransport über wenige Kilometer in derselben Stadt (Istanbul und Nürnberg). Sowohl die Türkei als auch Deutschland sind ohne Vorbehalte (Art. 1 § 6 CIM) Mitgliedstaaten der CIM.

Da das Berufungsgericht eine Schadensersatzpflicht der Beklagten auf der Grundlage des deutschen Landfrachtrechts (§§ 407 ff. HGB) angenommen hatte, konnte seine die Berufung zurückweisende Entscheidung keinen Bestand haben. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Auslegung von Art. 1 § 3 CIM war im vorliegenden Fall nicht erforderlich. Der Senat konnte allerdings nicht selbst entscheiden, da noch weitere Feststellungen zur Frage erforderlich sind, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Transportgut während der Obhutszeit der Beklagten abhandengekommen war. Zudem hatten die Vorinstanzen keine Feststellungen dazu getroffen, ob Ansprüche der Versicherungsnehmerin - wie die Beklagte geltend machte - gem. Art. 47 § 1 CIM erloschen sind.

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