12.06.2014

Zur vorübergehend verfolgten liberaleren Glücksspielpolitik durch das Land Schleswig-Holstein

Die vom Land Schleswig-Holstein vorübergehend verfolgte liberalere Glücksspielpolitik stellt die Kohärenz der strikteren Politik der übrigen deutschen Länder nicht in Frage. Das in fast allen Bundesländern geltende Verbot der Veranstaltung von Glücksspielen im Internet und der Werbung dafür kann in angemessenem Verhältnis zu den verfolgten Zielen des Allgemeininteresses stehen.

EuGH 12.6.2014, C-156/13
Hintergrund:
In Deutschland sind die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet sowie die Werbung für Glücksspiele im Fernsehen, im Internet sowie über Telekommunikationsanlagen grundsätzlich verboten. Die Verwendung des Internets zu diesen Zwecken kann allerdings ausnahmsweise für Lotterien und Sportwetten erlaubt werden. Mit dieser Ausnahme soll eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitgestellt und der Entwicklung und Ausbreitung nicht erlaubter Spiele entgegengewirkt werden.

Der Sachverhalt:
Im Land Schleswig-Holstein waren die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet von Januar 2012 bis Februar 2013 erlaubt. Diese Erlaubnis wurde bei Vorliegen bestimmter objektiver Voraussetzungen jeder Person in der Union erteilt. In dieser Zeit erlaubte Schleswig-Holstein auch die Werbung für Glücksspiele im Fernsehen und im Internet. Die liberalere Regelung von Schleswig-Holstein ist zwar mittlerweile aufgehoben worden, doch gelten die den Anbietern von Glücksspielen im Internet erteilten Genehmigungen während einer Übergangszeit von mehreren Jahren fort.

Der Gesellschaft Digibet ist die Veranstaltung von Glücksspielen aufgrund einer von den Behörden von Gibraltar erteilten Lizenz gestattet. Sie bietet auf ihrer Internetseite "digibet.com" in deutscher Sprache Glücksspiele und Sportwetten an. Auf eine Klage der Westdeutschen Lotterie (der staatlichen Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen) untersagten LG und OLG es Digibet und ihrem Geschäftsführer über das Internet in Deutschland wohnhaften Personen die Möglichkeit anzubieten, an Glücksspielen teilzunehmen.

Digibet und ihr Geschäftsführer fochten die Entscheidung beim BGH an, der nun den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens fragt, ob die während eines Zeitraums von über einem Jahr verfolgte liberalere Politik des Landes Schleswig-Holstein die Vereinbarkeit des in den übrigen Ländern geltenden Spieleverbots mit den Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr in Frage stellen kann. Der BGH meint, dass im vorliegenden Fall das Vorliegen weniger strenger Vorschriften im Land Schleswig-Holstein die Eignung der in den übrigen Ländern erlassenen Vorschriften zur Erreichung der verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls beeinträchtigen könnte.

Die Gründe:
Das Verbot, in Deutschland Glücksspiele zu veranstalten und zu bewerben, stellt eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, die jedoch durch Ziele des Allgemeinwohls wie die in der deutschen Regelung genannten gerechtfertigt sein kann.

Selbst wenn man annimmt, dass die weniger strenge Regelung von Schleswig-Holstein die Kohärenz der Verbotspolitik der übrigen Länder beeinträchtigen konnte, war die Anwendung dieser liberalen Regelung zeitlich auf weniger als 14 Monate und räumlich auf ein Bundesland begrenzt. Damit stellt das vorübergehende Vorliegen weniger strenger Vorschriften im Land Schleswig-Holstein die Eignung der in den anderen Ländern geltenden Beschränkungen zur Erreichung der verfolgten Ziele des Allgemeinwohls nicht ernsthaft in Frage. Demzufolge waren die 15 anderen Länder nicht verpflichtet, ihre Regelung in diesem Bereich allein deshalb zu ändern, weil ein einzelnes Land für einen begrenzten Zeitraum eine liberalere Politik verfolgt hat.

Die deutsche Regelung kann im Bereich der Glücksspiele in Bezug auf die mit ihr verfolgten Ziele des Allgemeininteresses verhältnismäßig und infolgedessen mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar sein. Der BGH wird allerdings zu prüfen haben, ob die in Rede stehende Regelung allen sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 85 vom 12.6.2014
Zurück