08.08.2013

Zur Zulässigkeit der Ausstrahlung eines satirischen Fernsehbeitrags über das Streitgespräch eines Journalisten mit der Teilnehmerin einer Mahnwache

Die Teilnehmerin einer Mahnwache auf einem öffentlichen Platz gegen eine israelische Militärintervention, die national und international Aufsehen erregt hat, muss die Ausstrahlung einer satirisch gefärbten Fernsehsendung hinnehmen, in deren Verlauf sie vor laufender Kamera in einem Streitgespräch mit einem Journalisten zu sehen und zu hören ist. Eine derartige Bildberichterstattung ist als solche über ein zeitgeschichtliches Ereignis zulässig; einer Einwilligung der Teilnehmerin bedarf es deshalb gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht.

BGH 11.6.2013, VI ZR 209/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die beklagte Rundfunkanstalt auf Unterlassung der erneuten Ausstrahlung einer Fernsehsendung in Anspruch, in deren Verlauf sie in einem Streitgespräch mit einem Journalisten und Protagonisten der Sendung zu sehen und zu hören ist.

Die ARD strahlte im November 2010 die dritte Folge einer fünfteiligen Sendung "Entweder Broder - Die Deutschland-Safari" aus, eine Koproduktion verschiedener Rundfunkanstalten innerhalb der ARD, darunter auch der Beklagten, bei der die Produktionsleitung lag. Die Sendereihe wird von der Beklagten selbst als Mischung zwischen "Roadmovie-Doku" und gesellschaftskritischer Satire gesehen. In der genannten Folge der Sendereihe tritt die Klägerin als Mitglied einer Gruppe von drei Frauen in Erscheinung, die sich als "Großmütter gegen den Krieg" bezeichnen. Sie hatten sich am Nachmittag des 24.6.2010 auf dem Pariser Platz in Berlin anlässlich der im Mai 2010 erfolgten israelischen Marineintervention gegen die "Gaza-Solidaritätsflotte" zu einer gemeinsamen Mahnwache eingefunden.

Die Klägerin erschien in der Sendung zwischen den Marken 2:00 min. bis etwa 5:30 min. mehrmals im Bild und mit Ton, wobei sie mit dem Protagonisten der Sendung, dem Journalisten Henryk M. Broder, lebhaft und kontrovers über das Anliegen der Mahnwache sowie allgemein über Fragen des Völkerrechts und der Legitimität militärischer Aktionen diskutierte. Mit E-Mails vom 25.6. und 29.6.2010 widerrief die Klägerin gegenüber der Produktionsfirma und der Beklagten vorsorglich eine etwaige Einwilligung in Bezug auf die Aufzeichnung und Ausstrahlung der Aufnahmen. Sie machte geltend, weder ausdrücklich noch stillschweigend hierin eingewilligt zu haben. Weder Zweck, Art und Umfang der geplanten Sendung noch Herr Broder seien ihr zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt gewesen.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG gab dem Unterlassungsantrag - beschränkt auf die konkrete Verletzungsform - sowie dem Antrag auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2, § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Unterlassung der erneuten Veröffentlichung des beanstandeten Fernsehbeitrages.

Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach gefestigter BGH-Rechtsprechung nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen. Hiervon besteht allerdings gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Nach diesen Grundsätzen war die von der Klägerin angegriffene Bildberichterstattung in dem Fernsehbeitrag der Beklagten als solche über ein zeitgeschichtliches Ereignis zulässig. Einer (stillschweigenden) Einwilligung der Klägerin bedurfte es im Streitfall deshalb - entgegen der Auffassung des OLG - gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht.

Die Klägerin hat als Mitglied zahlreicher der Friedensbewegung zuzurechnender Organisationen zusammen mit zwei anderen Frauen an einer "Mahnwache" auf dem Pariser Platz teilgenommen, um gegen die kurz zuvor erfolgte israelische Marineintervention zu protestieren. Eine solche Veranstaltung auf einem belebten Platz mit einem politischen Anliegen im Zusammenhang mit einer kurz zuvor erfolgten Militäraktion, die national und international Aufsehen erregt hat, in der Absicht, von einer möglichst breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden und auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken, ist ein zeitgeschichtliches Ereignis. Die Klägerin hat sich an dieser Veranstaltung aktiv beteiligt und vor laufender Kamera mit einem Journalisten lebhaft und kontrovers über ihr Anliegen sowie allgemein über Fragen des Völkerrechts und der Legitimität militärischer Aktionen diskutiert; ihr Verhalten war damit Teil dieses zeitgeschichtlichen Ereignisses. Hierüber darf die Presse grundsätzlich auch ohne Einwilligung der Klägerin gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG mit Bildaufnahmen berichten.

Die Veröffentlichung eines von der Klägerin im Zusammenhang mit der von ihr mitveranstalteten "Mahnwache" vor laufender Kamera mit einem Journalisten geführten Streitgesprächs im Fernsehen entspricht dem im allgemeinen zu erwartenden Zweck der Aufnahme und damit dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge. Da sich der Journalist in dieser Diskussion kritisch und ablehnend mit ihrer Haltung auseinandersetzt, die Klägerin fortgesetzt in ihrer Rede unterbricht und ihr dabei durchgehend widerspricht, um ihr sodann Unkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge vorzuhalten, musste die Klägerin damit rechnen, dass die Darstellung ihres Verhaltens Gegenstand einer kritischen Dokumentation sein kann. Bei der von ihr als engagierte Friedensaktivistin geführten Auseinandersetzung muss die Klägerin im politischen Meinungskampf auch hieran anknüpfende satirische Bemerkungen hinnehmen. Die satirische Auseinandersetzung in dem ausgestrahlten Fernsehbeitrag überschreitet inhaltlich nicht die Grenzen des Zulässigen und Zumutbaren (keine Schmähkritik).

Im Übrigen hat niemand einen Anspruch darauf, von anderen nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder gesehen werden möchte. Wer sich anlässlich einer "Mahnwache" mit einem Journalisten vor laufender Kamera auf ein beiderseits engagiert geführtes Streitgespräch über sein politisches Anliegen einlässt und dadurch an herausgehobener Stelle aktiv am öffentlichen Meinungsbildungsprozess über ein außenpolitisches Ereignis teilnimmt, muss sich - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich eine kritische und auch satirisch gefärbte Auseinandersetzung mit seinem Standpunkt in einem daraufhin veröffentlichten Fernsehbeitrag gefallen lassen.

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