§ 651h BGB: Keine Anwendung von § 326 BGB
BGH v. 28.1.2025 - X ZR 43/22
Der Sachverhalt:
Die Kläger beanspruchen von der Beklagten die Rückzahlung einer restlichen Anzahlung für eine Pauschalreise. Am 21.1.2020 buchten sie für sich und ihre drei Kinder bei der Beklagten eine Reise nach Australien und Neuseeland, die vom 20.7. bis zum 9.8.2020 stattfinden und insgesamt rd. 20.000 € kosten sollte. Die Kläger leisteten eine Anzahlung i.H.v. rd. 12.600 €. Mit Schreiben vom 16.3.2020 erklärten die Kläger den Rücktritt von der Reise, da sie aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation als Augenärzte davon ausgingen, dass die für Juli 2020 gebuchte Reise aufgrund der andauernden Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Die Beklagte behielt eine Stornierungsgebühr i.H.v. rd. 3.900 € (20 % des Reisepreises) ein.
Das AG wies die Klage auf Zahlung von 3.900 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten ab. Das LG gab der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil der LG auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Beklagte hat gem. § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten sind. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der restlichen Anzahlung an die Kläger verpflichtet. Mit der vom LG gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch der Kläger entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
Entgegen der Auffassung des LG ist der Entschädigungsanspruch der Beklagten auch nicht nach § 326 BGB entfallen. § 651h BGB lässt für eine ergänzende Anwendung von § 326 BGB keinen Raum. Gegen eine Anwendung von § 326 BGB sprechen bereits der Wortlaut und die Systematik von § 651h BGB. § 651h BGB enthält eine umfassende Regelung über die Voraussetzungen und Folgen eines Rücktritts des Reisenden oder des Reiseveranstalters vor Beginn der Pauschalreise. Für den Fall eines Rücktritts durch den Reisenden sieht § 651h Abs. 1 BGB einen Anspruch des Reiseveranstalters auf angemessene Entschädigung vor. Dieser Anspruch entfällt nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB unter den dort normierten Voraussetzungen. Mit dieser Systematik wäre es kaum vereinbar, die in § 651h BGB vorgesehenen Rechtsfolgen durch eine Anwendung von § 326 BGB zu modifizieren.
Der Nichtanwendung von § 326 BGB entspricht auch Sinn und Zweck des § 651h BGB. Wie der Senat bereits an anderer Stelle ausgeführt hat, dient § 651h BGB dem Zweck, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem berechtigten Vergütungsinteresse des Reiseveranstalters und dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu erzielen. Mit diesem Ziel ist es nicht vereinbar, die in § 651h BGB geregelte Risikoverteilung durch ergänzende Anwendung von § 326 BGB zu modifizieren.
Eine Anwendung von § 326 BGB stünde zudem in Widerspruch zu Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302, dessen Umsetzung § 651h Abs. 3 BGB dient. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf das Recht, von einem Pauschalreisevertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückzutreten, nicht von der Situation abhängen, die zu einem Zeitpunkt nach dem Rücktritt bestand. Ereignisse nach dem Rücktritt dürfen weder dazu führen, dass das Recht zum Rücktritt ohne Zahlung einer Gebühr rückwirkend entfällt, noch dazu, dass ein solches Recht nachträglich entsteht. Mit dieser Vorgabe ist es nicht vereinbar, dem Reiseveranstalter durch Anwendung von § 326 BGB aufgrund von Umständen, die erst nach dem Rücktritt eingetreten sind, die in § 651h Abs. 1 BGB vorgesehene Entschädigung zu versagen.
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Die Kläger beanspruchen von der Beklagten die Rückzahlung einer restlichen Anzahlung für eine Pauschalreise. Am 21.1.2020 buchten sie für sich und ihre drei Kinder bei der Beklagten eine Reise nach Australien und Neuseeland, die vom 20.7. bis zum 9.8.2020 stattfinden und insgesamt rd. 20.000 € kosten sollte. Die Kläger leisteten eine Anzahlung i.H.v. rd. 12.600 €. Mit Schreiben vom 16.3.2020 erklärten die Kläger den Rücktritt von der Reise, da sie aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation als Augenärzte davon ausgingen, dass die für Juli 2020 gebuchte Reise aufgrund der andauernden Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Die Beklagte behielt eine Stornierungsgebühr i.H.v. rd. 3.900 € (20 % des Reisepreises) ein.
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Entgegen der Auffassung des LG ist der Entschädigungsanspruch der Beklagten auch nicht nach § 326 BGB entfallen. § 651h BGB lässt für eine ergänzende Anwendung von § 326 BGB keinen Raum. Gegen eine Anwendung von § 326 BGB sprechen bereits der Wortlaut und die Systematik von § 651h BGB. § 651h BGB enthält eine umfassende Regelung über die Voraussetzungen und Folgen eines Rücktritts des Reisenden oder des Reiseveranstalters vor Beginn der Pauschalreise. Für den Fall eines Rücktritts durch den Reisenden sieht § 651h Abs. 1 BGB einen Anspruch des Reiseveranstalters auf angemessene Entschädigung vor. Dieser Anspruch entfällt nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB unter den dort normierten Voraussetzungen. Mit dieser Systematik wäre es kaum vereinbar, die in § 651h BGB vorgesehenen Rechtsfolgen durch eine Anwendung von § 326 BGB zu modifizieren.
Der Nichtanwendung von § 326 BGB entspricht auch Sinn und Zweck des § 651h BGB. Wie der Senat bereits an anderer Stelle ausgeführt hat, dient § 651h BGB dem Zweck, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem berechtigten Vergütungsinteresse des Reiseveranstalters und dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu erzielen. Mit diesem Ziel ist es nicht vereinbar, die in § 651h BGB geregelte Risikoverteilung durch ergänzende Anwendung von § 326 BGB zu modifizieren.
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