26.02.2025

720.000 € Schmerzensgeld nach Behandlung einer schwangeren Hochrisikopatientin in Klinik ohne neonatologische Intensivstation

Eine mit eineiigen Zwillingen schwangere Hochrisikopatientin darf ausschließlich in einer Klinik behandelt werden, die auch über eine neonatologische Intensivstation verfügt. Ihre andauernde Behandlung in einer Geburtsklinik ohne Möglichkeit der jederzeitigen notfallmäßigen intensiven medizinischen Versorgung der Neugeborenen, ist grob fehlerhaft. Das OLG Frankfurt a.M. hat bestätigt, dass dem schwerstbehinderten Kind der Schwangeren ein Schmerzensgeld i.H.v. 720.000 € zusteht.

OLG Frankfurt a.M. v. 18.2.2025 - 8 U 8/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung im Vorfeld seiner Geburt auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch. Die Mutter des Klägers war mit 37 Jahren erstmals schwanger. Es handelte sich um eine hochriskante eineiige Zwillingsschwangerschaft. Die Mutter des Klägers wurde über Wochen von dem beklagten Arzt in der mitverklagten Geburtsklinik stationär behandelt. Die Klinik verfügte nicht über eine Neugeborenenstation. Eines Tages wurde festgesellt, dass sich ein typisches Risiko der Schwangerschaft realisiert hatte. Einer der beiden Feten war im Mutterleib verstorben. Der Kläger wurde nachfolgend mit Notkaiserschnitt mit schwersten Hirnschäden entbunden.

Das LG hat auf der Grundlage eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens die Beklagten zu einem Schmerzensgeld i.H.v. 720.000 € verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Beklagten könnten mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision beim BGH beantragen.

Die Gründe:
Nach weiterer Beweisaufnahme hat sich bestätigt, dass die Beklagten den heutigen äußerst schlechten Gesundheitszustand des Klägers durch mehrere grobe Behandlungsfehler verursacht haben und ihm deshalb Schmerzensgeld in dieser Höhe schulden.

Das medizinische Gesamtkonzept der Beklagten ist - wie vom Sachverständigen wiederholt eindrücklich erläutert - offensichtlich fehlerhaft gewesen. Die Mutter des Klägers hat insbesondere als schwangere Hochrisikopatientin ausschließlich in einer Klinik behandelt werden dürfen, die auch über eine neonatologische Intensivstation verfügt. Bei einer Hochrisikoschwangerschaft mit eineiigen Zwillingen kann es jederzeit zu einer Frühgeburt oder zu schweren Komplikationen bis hin zum Fruchttod eines Fetus kommen. Dies macht eine sofortige Entbindung und eine sofortige Notfallbehandlung des oder der Neugeborenen erforderlich. Eine angemessene Behandlung dieser Neugeborenen kann nur durch neonatologische Fachärzte mit einer entsprechenden technischen Ausstattung gewährleistet werden. Die Behandlung von Frühchen ist extrem heikel. Durch jedwede auch nur kurzfristige Fehlversorgung drohen unmittelbar schwere Schäden.

Die auf die Fehlbehandlung zurückzuführenden schweren Hirnschäden des Klägers haben mannigfache gravierende Auswirkungen. Der Kläger leidet u.a. unter einer ausgeprägten Entwicklungsstörung, ist blind und hat eine starke Hörschwäche, seine Schluckfähigkeit ist gestört ebenso wie die Kontrolle seiner Blase. Die erlittenen schwersten Gesundheitsschäden rechtfertigen ein Schmerzensgeld i.H.v. 720.000 €.

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OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 11 vom 25.2.2025