22.02.2024

Abrechnung auf Basis der kalkulierten Reparaturkosten vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist

Bei der Sechs-Monats-Frist handelt es sich weder um eine Fälligkeitsvoraussetzung noch um eine eigene Anspruchsvoraussetzung. Sie ist vielmehr Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse und hat damit beweisrechtliche Bedeutung. Bei Nichteinhaltung der Sechs-Monats-Frist hat der Geschädigte keinen Anspruch auf die Netto-Reparaturkosten, sondern lediglich auf den Wiederbeschaffungsaufwand.

LG Rottweil v. 7.2.2024 - 1 S 46/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt ein Kurierunternehmen. Ihr angestellter Fahrer C. fuhr am 7.5.2022 gegen ca. 14:30 Uhr mit einem VW-Transporter rückwärts in einem Abstand von etwa drei Metern an der Garage der Beklagten vorbei, um zu einer Abladestelle zu gelangen. Als das Fahrzeug sich vor der Garagenausfahrt befand, setzte der Beklagte mit seinem VW Golf zurück, um aus der Garage zu fahren. Hierbei kam es zum Zusammenstoß zwischen den Fahrzeugen.

Die Klägerin hat daraufhin außergerichtlich ein Sachverständigengutachten für netto 874 € eingeholt. Die Reparaturkosten betrugen netto 7.212 €, der Wiederbeschaffungswert 11.500 € und der Restwert 6.200 €. Infolge einer Reparatur wäre eine Wertverbesserung i.H.v. 800 € eingetreten. Die Klägerin hat am 23.5.2022 gegenüber den Beklagten auf Basis der Nettoreparaturkosten von 7.212 €, einer Wertminderung von 300 €, Sachverständigenkosten von 874 € und einer Unkostenpauschale von 25 € Zahlung i.H.v. 8.411 € bis zum 30.5.2022 geltend gemacht. Die Beklagten haben unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 % auf Basis eines unechten Totalschadens i.H.v. 4.453 €, Sachverständigenkosten i.H.v. 874 € und der Unkostenpauschale i.H.v. 25 € insgesamt 2.676 € abgerechnet.

Das AG hat festgestellt, dass der Klageantrag i.H.v. 1.529 € bzw. 145 € erledigt sei und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Beklagten waren der Ansicht, dass zunächst zutreffend wegen eines unechten Totalschadens reguliert worden sei, da die Klägerin lediglich das Privatgutachten vorgelegt habe. Sie habe aber nicht erklärt, ob sie ihr Fahrzeug reparieren lasse oder es im unreparierten Zustand verkaufe. Dies sei erstmals in der Klageschrift vom 16.8.2022 der Fall gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Frist von sechs Monaten aber noch nicht abgelaufen gewesen. Die Klägerin war der Auffassung, dass die Beklagten zu 70 % für den Unfall haften würden. Die vom AG angenommene Haftungsquote von 50 % sei unzutreffend, weil es nur auf die Frage der Unvermeidbarkeit abgestellt habe.

Das LG hat beide Berufungen zurückgewiesen. Allerdings wurde im Hinblick auf die abweichende Auffassung zum OLG Stuttgart beschränkt auf die Berufung der Beklagten die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Die Klage war hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils zur Zeit des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet.

Ist der Reparaturaufwand höher als der Wiederbeschaffungsaufwand, jedoch niedriger als der Wiederbeschaffungswert, so kann der Geschädigte die Netto-Reparaturkosten ansetzen, wenn er den reparierten Gegenstand mindestens noch sechs Monate weiternutzt und ggf. verkehrssicher (teil-)reparieren lässt. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Geschädigte aber nicht darauf verwiesen werden, Schadensersatzansprüche erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist geltend zu machen, da es sich bei der Sechs-Monats-Frist weder um eine Fälligkeitsvoraussetzung noch um eine eigene Anspruchsvoraussetzung handelt. Sie ist vielmehr Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse und hat damit beweisrechtliche Bedeutung.

Die Klägerin hatte spätestens mit der Klageschrift dargelegt, das Fahrzeug weiter zu nutzen. Ihr war es lediglich bis dahin noch nicht gelungen den ihr obliegenden Beweis eines Weiterbenutzungswillens zu führen. Eine zeitweise Beweisnot der Klägerin stand der Fälligkeit des einmal begründeten Anspruchs jedoch nicht entgegen. Folglich war es das Prozessrisiko der Beklagten, dass sie den begründeten und fälligen Anspruch nicht bereits vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist ausgeglichen hatten.

Vorliegend hätten die Beklagten daher zunächst auf Basis der Netto-Reparaturkosten leisten müssen und hätten sich hinsichtlich des oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwands liegenden Anspruchsteils mit einem Rückforderungsvorbehalt versehen dürfen, was vorliegend jedoch nicht geschehen war. Wird die Sechs-Monats-Frist vom Geschädigten nicht eingehalten und liegt auch kein sonstiger Ausnahmefall vor, besteht später die Möglichkeit eines Regresses des Kfz-Haftpflichtversicherers, der die Reparaturkosten unter Rückforderungsvorbehalt an den Geschädigten gezahlt hat. Denn bei Nichteinhaltung der Sechs-Monats-Frist hat der Geschädigte keinen Anspruch auf die Netto-Reparaturkosten, sondern lediglich auf den Wiederbeschaffungsaufwand.

Die Kammer folgt der vom OLG Stuttgart im Beschluss vom 19.4.2022 vertretenden Auffassung nicht. Soweit darin auf die BGH-Entscheidung vom 23.5.2006, Az.: VI ZR 192/05 Bezug genommen wurde, lag dieser zugrunde, dass der Geschädigte das Fahrzeug zwar zunächst weiter genutzt hatte, es dann aber nach ca. vier Monaten unrepariert veräußert hat. Der Entscheidung war zwar zu entnehmen, dass eine Weiterbenutzung für regelmäßig sechs Monate erforderlich ist. Der BGH führte aber gerade nicht aus, dass der Geschädigte vor Ablauf dieser Frist daran gehindert war, seinen Schaden fiktiv auf Basis des Netto-Wiederbeschaffungsaufwand geltend zu machen. Vielmehr war die tatsächliche Weiternutzung lediglich ein Indiz für das erforderliche Integritätsinteresse (OLG München, Urt. v. 19.12.2023, 24 U 3811/23).

Der Klägerin steht kein weiterer Zahlungsanspruch auf die Hauptforderung in Höhe von 1.559,60 € aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG zu. Ausgehend vom Maßstab des § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG haften die Parteien jeweils zu 50 %. Zur Überzeugung der Kammer stand fest, dass beiden Fahrzeuglenkern neben der abstrakten Betriebsgefahr jeweils auch ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO anzulasten war.

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