31.01.2024

Auf sofortige Beschwerde ergangene und der Rechtsbeschwerde unterliegende Beschlüsse sind unabänderlich und bindend

Beschlüsse, die auf sofortige Beschwerde ergangen sind und der Rechtsbeschwerde unterliegen, sind in entsprechender Anwendung von § 318 ZPO unabänderlich und damit grundsätzlich bindend. Eine nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht setzt eine zulässige und begründete Anhörungsrüge voraus.

BGH v. 21.9.2023 - IX ZB 52/22
Der Sachverhalt:
Am 1.2.2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2) zum Insolvenzverwalter bestellt. Die weitere Beteiligte zu 1) ist Gläubigerin mit einer zur Tabelle festgestellten Forderung. Auf Antrag der Beteiligten zu 1) sowie zweier weiterer Gläubiger wurde eine Gläubigerversammlung durchgeführt. Die Gläubigerversammlung beschloss mit Stimmenmehrheit, beim Insolvenzgericht einen Antrag auf Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zu stellen. Das AG - Insolvenzgericht - lehnte den Antrag ab. Gegen diesen Beschluss legte die Beteiligte zu 1) sofortige Beschwerde ein. Das AG half der sofortigen Beschwerde nicht ab.

Das LG verwarf die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 1.12.2022 durch die Einzelrichterin. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen. Hiergegen erhob die Beteiligte zu 1) "Gegenvorstellung und Rüge gem. § 321a ZPO analog". Daraufhin führte die Einzelrichterin mit Beschluss vom 5.1.2023 das Beschwerdeverfahren fort, hob den vorhergehenden Beschluss auf und übertrug die Sache auf die Kammer. Mit Beschluss vom 27.1.2023 verwarf das LG durch die Kammer die sofortige Beschwerde und ließ die Rechtsbeschwerde zu. Die Beteiligte zu 1) legte sowohl gegen den Beschluss vom 1.12.2022 als auch gegen den Beschluss vom 27.1.2023 Rechtsbeschwerde ein.

Der BGH hob unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Beschlüsse des LG vom 27.1.2023 in vollem Umfang und vom 5.1.2023 insoweit auf, als darin der Beschluss der Einzelrichterin vom 1.12.2022 aufgehoben worden ist, wies die auf eine entsprechende Anwendung des § 321a ZPO gestützte Rüge sowie die Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 1.12.2022 zurück und verwarf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss der Einzelrichterin vom 1.12.2022 als unzulässig.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache nur insofern Erfolg, als die angefochtene Entscheidung vom 27.1.2023 vollständig und die Zwischenentscheidung vom 5.1.2023, soweit darin der Beschluss der Einzelrichterin vom 1.12.2022 aufgehoben worden ist, aufzuheben sind. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des BGH hat das Rechtsmittelgericht die Entscheidung des unteren Gerichts, aufgrund einer Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) das Verfahren fortzuführen, darauf zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war. Zwar ist der Rechtsbehelf der Beteiligten zu 1) nicht als Anhörungsrüge auszulegen. Die Rüge ist von den Instanzbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) ausdrücklich nur auf eine analoge Anwendung des § 321a ZPO gestützt worden. Zudem wäre eine Anhörungsrüge nicht zulässig, weil eine Verletzung des Anspruchs der Beteiligten zu 1) auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise gem. § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht dargetan ist. Die unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde als solche kann den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzen, es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Parteien ist verfahrensfehlerhaft übergangen worden. Letzteres hat die Beteiligte zu 1) nicht geltend gemacht. Das LG hat auch ersichtlich keinen Vortrag außer Acht gelassen, der für die Zulassungsentscheidung erheblich war. Vielmehr hat die Einzelrichterin im Rahmen des Beschlusses vom 1.12.2022 die Zulassung der Rechtsbeschwerde in Erwägung gezogen und diese mit einer Begründung abgelehnt.

Ob über die Bestimmungen der Anhörungsrüge hinaus eine Rüge analog § 321a Abs. 1 ZPO bei schwerwiegenden formellen oder materiellen Mängeln in Betracht kommt, kann dahinstehen. Die Überprüfung der Voraussetzungen der Verfahrensfortsetzung durch das Rechtsbeschwerdegericht muss jedenfalls auch dann erfolgen, wenn die Rüge auf eine analoge Anwendung des § 321a ZPO gestützt wird. Aus den allgemeinen Bestimmungen des Rechtsmittelrechts ergibt sich, dass das Rechtsmittelgericht die Entscheidung des unteren Gerichts, ein Verfahren fortzuführen, nach einem (unterstellt) zulässigen Rechtsmittel zu überprüfen hat. Steht die Verfahrensfortführung aufgrund eines gesetzlich nicht vorgesehenen, hier auf die analoge Anwendung des § 321a ZPO gestützten Rechtsbehelfs in Frage, können keine geringeren Anforderungen gelten. Denn es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, auf einen gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsbehelf hin eine Fortsetzung des Verfahrens durch das untere Gericht anders als im Fall des Bestehens einer gesetzlichen Regelung ohne Überprüfungsmöglichkeit zuzulassen.

Nach diesem Maßstab war das Beschwerdegericht nicht berechtigt, auf die von der Beteiligten zu 1) erhobene Rüge hin das Verfahren fortzuführen und eine erneute Entscheidung in der Sache zu treffen. Die Beschlüsse vom 5. und 27.1.2023 lassen nicht erkennen, dass das LG eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Beteiligten zu 1) geprüft und angenommen hat, dass seine ursprüngliche Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, objektiv willkürlich gewesen wäre oder den Instanzenzug unzumutbar und in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verkürzt hätte. Vielmehr beruhte die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss vom 1.12.2022, wie auch von der Beteiligten zu 1) im Schriftsatz vom 8.12.2022 geltend gemacht, auf einem Zirkelschluss. Sowohl das Gebot des gesetzlichen Richters als auch das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes schützen nicht vor jeder fehlerhaften Anwendung der Prozessordnung, sondern setzen eine willkürlich unterlassene Zulassung oder eine unzumutbare, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Verkürzung des Instanzenzugs voraus. Die Erwägungen der Einzelrichterin zur Rechtsbeschwerdemöglichkeit mögen zwar zirkelschlüssig gewesen sein und nicht der gesetzlichen Systematik der ZPO entsprochen haben. Sie stellen sich im vorliegenden Fall jedoch nicht als willkürlich, sondern lediglich als einfacher Rechtsanwendungsfehler dar.

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