05.05.2023

Aufklärungspflichten bei Gebrauchtwagenkauf mit "fliegendem Zwischenhändler"

Zwar kann der Käufer eines Gebrauchtwagens nicht grundsätzlich die Mitteilung erwarten, wie, wann und von wem das zum Verkauf stehende Fahrzeug beschafft wurde. Von diesem Grundsatz wird aber eine Ausnahme gemacht, wenn die Umstände des Erwerbs den Verdacht nahelegen, dass es während der Besitzzeit des Voreigentümers zur unsachgemäßen Behandlung des Fahrzeugs gekommen ist. Solche Umstände sind zum Beispiel gegeben, wenn der Verkäufer das Fahrzeug selbst kurz zuvor von einem "fliegenden Zwischenhändler" erworben hat.

OLG Brandenburg v. 20.4.2023 - 10 U 50/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hat am 3.11.2018 vom Beklagten einen gebrauchten Audi A6 Quattro zum Preis von 21.500 € gekauft. Das Fahrzeug war am 1.7.2012 in den USA erstmals zugelassen und am 4.10.2013 von New York nach Litauen verschifft worden. Nach einer Probefahrt am Wohnort des Beklagten sprachen die Parteien über einen Kratzer in der Tür und weitere kleinere Kratzer. Der weitere Inhalt des Gesprächs über Schäden blieb streitig. Der Beklagte wies außerdem darauf hin, dass das Fahrzeug für den amerikanischen Markt produziert und von dort re-importiert worden sei.

Ende November 2020 erlitt die Klägerin mit dem Fahrzeug einen Wildschaden. Die von der Klägerin mit der Behebung des Schadens beauftragte Werkstatt teilte ihr mit, dass das Fahrzeug in der Vergangenheit bereits einen massiven Unfallschaden erlitten habe. Am 9.3.2021 erklärte die Klägerin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag, und forderte den Beklagten zur Rücknahme des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises bis 23.3.2021 auf. Darauf ging der Beklagte nicht ein. Er behauptete, er habe das Fahrzeug 2014 von einer Privatperson zum Preis von ca. 35.000 € gekauft. Er habe weder beim Kauf noch später von einem Unfallschaden erfahren.

Das LG wies die Klage ab. Es sei nicht mit dem nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichem Maß davon überzeugt, dass der Beklagte von einem etwaigen Unfallschaden Kenntnis gehabt habe. Der Unfallschaden sei äußerlich nicht erkennbar und auch vom Ehemann der Klägerin, der KFZ-Mechatroniker sei, bei der Besichtigung und auch in der nachfolgenden Nutzungszeit nicht erkannt worden. Soweit die Klägerin behaupte, die Kenntnis des Unfallschadens ergebe sich aus den Umständen des Vorkaufs, so sei dieser Vortrag willkürlich "ins Blaue hinein" aufgestellt und damit unbeachtlich.

Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Entscheidung abgeändert und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 16.928 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Audi A6 zu zahlen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB. Danach ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, zur Herausgabe verpflichtet. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB steht ausweislich § 325 BGB neben dem Rücktritt. Da die Klägerin nur diese beiden Rechte geltend gemacht hatte, konnte die umstrittene Frage, ob Gewährleistungsansprüche und Anfechtungsrecht aus § 123 BGB wahlweise nebeneinander stehen, offenbleiben.

Nach gefestigter BGH-Rechtsprechung besteht bei Vertragsverhandlungen für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten kann. Ein Verkäufer verschweigt einen offenbarungspflichtigen Mangel bereits dann arglistig, wenn er ihn mindestens für möglich hält und gleichzeitig damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Fehler nicht kennt und bei Kenntnis den Kaufvertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte.

Der Beklagte hat die Klägerin darüber getäuscht, dass er das Fahrzeug nicht von einem privaten Vorbesitzer erworben hatte, sondern von einem "fliegenden Zwischenhändler", also einem Verkäufer, der das Fahrzeug selbst nicht auf sich zugelassen hatte, es nur kurze Zeit in Besitz hatte und der für den Beklagten nach dem Kauf nicht mehr greifbar war. Zwar kann der Käufer eines Gebrauchtwagens nicht grundsätzlich die Mitteilung erwarten, wie, wann und von wem das zum Verkauf stehende Fahrzeug beschafft wurde. Von diesem Grundsatz wird aber eine Ausnahme gemacht, wenn die Umstände des Erwerbs den Verdacht nahelegen, dass es während der Besitzzeit des Voreigentümers zur unsachgemäßen Behandlung des Fahrzeugs gekommen ist.

Solche Umstände sind zum Beispiel gegeben, wenn der Verkäufer das Fahrzeug selbst kurz zuvor von einem "fliegenden Zwischenhändler" erworben hat. In einem solchen Fall ist der Verkäufer zur Aufklärung verpflichtet, weil der Verdacht naheliegt, dass es während der Besitzzeit des unbekannten Voreigentümers zu Manipulationen am Kilometerzähler oder einer sonstigen unsachgemäßen Behandlung des Fahrzeugs gekommen ist. Beim Erwerb von einem privaten Vorbesitzer, der das Fahrzeug selbst zugelassen und gefahren hat, kann der Erwerber davon ausgehen, dass der Verkäufer Kenntnis von Vorschäden hat und diese offenbart. Denn ein privater Verkäufer muss neben Schadensersatzansprüchen auch strafrechtliche Verfolgung fürchten, wenn er Unfallschäden nicht offenlegt. Anders ist es bei dem Erwerb von einem fliegenden Zwischenhändler.

Der Beklagte hat den substantiierten Vortrag der Klägerin, dass er das Fahrzeug nicht von einem privaten Vorbesitzer, sondern unter Umständen, die dem Erwerb von einem "fliegenden Zwischenhändler" gleichkommen, erworben hatte, nicht ausreichend substantiiert bestritten. Dass der Beklagte darüber aufgeklärt hat, dass das Fahrzeug aus den USA "re"-importiert worden war, erfüllte die Aufklärungspflicht nicht, weil die ausschlaggebende Tatsache fehlte, dass das Fahrzeug nicht von den USA nach Deutschland verbracht wurde, sondern es dazwischen noch einen Aufenthalt in Litauen hatte.

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