18.02.2025

Bei groben Fehler der Oberärztin kann auch die Assistenzärztin persönlich haften

Verstößt ein von einem vorgesetzten Arzt angeordnetes Vorgehen, das in der konkreten Behandlungssituation von der bisherigen Praxis des Krankenhauses abweicht, gegen medizinisches Basiswissen und begründet es erkennbar erhöhte Risiken, aber keine Vorteile für den Patienten, so treffen sowohl einen Oberarzt als auch einen Assistenzarzt eine Remonstrationspflicht, bei deren Verletzung sie persönlich haften.

OLG Köln v. 27.1.2025 - 5 U 69/24
Der Sachverhalt:
Die beklagte Oberärztin der Gynäkologie hatte im Jahr 2016 zusammen mit der beklagten Assistenzärztin die Mutter bzw. Ehefrau der Kläger in der beklagten Klinik am Gebärmutterhals operiert. Die Beklagten setzten dabei ein monopolares Resektoskop ein, um einen vorhandenen Polypen vollständig zu entfernen. Als Spülmittel nutzten sie etwa 2,5 Liter destilliertes Wasser. Die Patientin starb an einem Multiorganversagen, da das Wasser in die Blutbahn gelangt war.

Die Beklagten zahlten den Klägern einen Betrag von 30.000 €, der mit den Beerdigungskosten und dem Unterhaltsschaden verrechnet wurde. Die Kläger waren der Ansicht, dass es sich um einen groben Behandlungsfehler handele. Dass destilliertes Wasser nicht als Distensionsmedium benutzt werden dürfe, sei Basiswissen eines jeden Medizinstudenten. Sie verlangten weitere 20.000 € Schmerzensgeld aus ererbtem Recht und begehrten die Feststellung der Haftung aufgrund der behauptet fehlerhaften medizinischen Behandlung.

Die Beklagten behaupteten, die Nutzung von destilliertem Wasser sei unter diesen Umständen nicht zu beanstanden gewesen. Zudem betonten sie, dass die beklagte Assistenzärztin im dritten Weiterbildungsjahr hinreichend qualifiziert gewesen sei, um den Eingriff ordnungsgemäß durchzuführen.

Das LG gab der Klage statt. Das Schmerzensgeld begrenzte es jedoch auf 8.000 €. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Schmerzensgeld auf 4.000 € reduziert.

Die Gründe:
Die Kläger haben gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Feststellung der Haftung gem. §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB wegen eines groben Behandlungsfehlers.

Verstößt ein von einem vorgesetzten Arzt angeordnetes Vorgehen, das in der konkreten Behandlungssituation von der bisherigen Praxis des Krankenhauses abweicht, gegen medizinisches Basiswissen und begründet es erkennbar erhöhte Risiken, aber keine Vorteile für den Patienten, so treffen sowohl einen Oberarzt als auch einen Assistenzarzt eine Remonstrationspflicht, bei deren Verletzung sie persönlich haften. Dass die Verwendung destillierten Wassers eindeutig gegen medizinische Erkenntnisse und bewährte ärztliche Behandlungsregeln und Erfahrungen verstieß und einem Arzt in einer vergleichbaren Situation schlechterdings nicht unterlaufen darf, ist eindeutig festgestellt worden. Im Übrigen traf die beklagte Oberärztin auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der vertikalen Arbeitsteilung in subjektiver Hinsicht ein grobes Versäumnis und ein grober Fehler.

Für die beklagte Assistenzärztin galt dies dagegen nicht. Der zu einer persönlichen Entlastung geeignete Gesichtspunkt eines Handelns auf Anordnung eines vorgesetzten Arztes im Rahmen vertikaler Arbeitsteilung ist für die Frage, ob ein festgestellter Behandlungsfehler als grob zu qualifizieren ist und zu einer Beweislastumkehr führt, nicht von Bedeutung. Insoweit ist - anders als bei der Feststellung des Behandlungsfehlers als solchem - allein eine objektive Betrachtungsweise maßgeblich.

Das grob fahrlässige Verhalten der Oberärztin war der Klinik, für die sie als Erfüllungsgehilfe handelte, zuzurechnen. Der genannte Gesichtspunkt traf im Hinblick auf die Assistenzärztin als nicht für die Operationsplanung insgesamt Verantwortliche allerdings nicht zu, sodass diese lediglich i.H.v. 2.000 € gesamtschuldnerisch haftet. Für weitere 2.000 € haften die Oberärztin und die Klinik gesamtschuldnerisch. Im Ergebnis hielt der Senat, auch verglichen mit anderen vom Senat entschiedenen Fällen, einen solchen Betrag für angemessen.

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Aufsatz
Rüdiger Martis / Martina Winkhart-Martis
Arzthaftungsrecht: Aktuelle Rechtsprechung zu Diagnoseirrtum, Unterlassener Befunderhebung, groben Behandlungsfehlern, voll beherrschbaren Risiken und Dokumentationsversäumnissen
MDR 2024, 547
MDR0066223

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