14.02.2025

Der Verfassungsschutz und die Amtshaftung - Fragen zur Darlegungs- und Beweislast

Der Kläger trägt im Amtshaftungsprozess auch dann die Darlegungs- und Beweislast für das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Amtsträgers, wenn er eine Entschädigung wegen Maßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10-Gesetz) und dem BVerfSchG begehrt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahmen von der G 10-Kommission geprüft und für zulässig, notwendig und verhältnismäßig erklärt worden sind.

BGH v. 13.2.2025 - III ZR 63/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger war Ende 2017 im Zusammenhang mit dem Verdacht der Planung terroristischer Anschläge in den Blick des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) geraten. Das Bundesministerium des Innern (BMI) ordnete auf entsprechende Anträge des BfV auf der Grundlage des G 10-Gesetzes für die Zeit vom 3.11.2017 bis zum 5.4.2018 die Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation des Klägers sowie das Öffnen und Einsehen seiner Post und auf der Grundlage des BVerfSchG für die Zeit vom 7.11.2017 bis zum 8.1.2018 den Einsatz technischer Mittel zur Ermittlung des Standortes seines aktiv geschalteten Mobilfunktelefons oder zur Ermittlung der Geräte- oder Kartennummer an.

Die G 10-Kommission (vgl. § 1 Abs. 2, § 15 G 10-Gesetz; § 8b Abs. 2 BVerfSchG) erklärte im Wege der nachträglichen Kontrolle die Maßnahmen für zulässig, notwendig und verhältnismäßig. Nach deren Beendigung setzte das BfV den Kläger über die - ergebnislos gebliebenen - Maßnahmen in Kenntnis.

Der Kläger war der Ansicht, wegen rechtswidriger und schuldhafter Eingriffe in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und sein durch Art. 10 Abs. 1 GG geschütztes Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis stehe ihm eine Entschädigung von 200.000 € zu. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung von 10.000 € zu zahlen.

Das OLG war der Ansicht, die insoweit primär, jedenfalls aber sekundär darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung und den Vollzug der - in das durch Art. 10 GG geschützte Post- und Fernmeldegeheimnis des Klägers eingreifenden - Maßnahmen erfüllt gewesen seien. Für den Ausgleich der vom Kläger durch die Maßnahmen erlittenen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei ein Entschädigungsbetrag von 10.000 € angemessen und ausreichend.

Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten war vor dem BGH erfolgreich. Sie führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden war. Dagegen blieb die Anschlussrevision des Klägers ohne Erfolg.

Gründe:
Auf der Grundlage der vom OLG getroffenen Feststellungen konnte nicht davon ausgegangen werden, dass ein Amtsträger der Beklagten seine Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten verletzt hatte. Die Auffassung der Vorinstanz, die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen treffe die Beklagte, war rechtsfehlerhaft. Vielmehr war der Kläger darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass ein Amtsträger der Beklagten amtspflichtwidrig gehandelt hatte.

Nach allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Schadensersatzanspruch geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast für dessen Voraussetzungen. Dem Geschädigten obliegt es, das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten eines Amtsträgers darzulegen und zu beweisen. Der mit den Maßnahmen verbundene Eingriff in das Grundrecht des Klägers aus Art. 10 Abs. 1 GG führte nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Maßnahmen - wie vorliegend - von der G 10-Kommission geprüft und für zulässig, notwendig und verhältnismäßig erklärt wurden.

Der Beklagten oblag insofern über die von ihr getätigten Angaben hinaus keine sekundäre Darlegungslast zu den tatsächlichen Umständen, die den Maßnahmen zugrunde lagen. Zwar gebietet der Grundsatz von Treu und Glauben eine sekundäre Darlegungslast des Gegners, wenn die darlegungs- und beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine Kenntnisse von den maßgeblichen Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner angesichts des unterschiedlichen Informationsstands beider Parteien zumutbar nähere Angaben machen kann. Vorliegend stand der Kläger zwar außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs, während die Beklagte über alle relevanten Informationen verfügte. Der Beklagten waren jedoch mit Blick auf die von ihr geltend gemachten Geheimhaltungsgründe keine weiteren Angaben zumutbar.

Die Beklagte hat unter Berufung auf die sog. "Third-Party-Rule" und den Quellenschutz hinreichend vorgetragen, dass die Offenlegung weiterer Informationen die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich ihrer Zusammenarbeit mit anderen Behörden erheblich beeinträchtigen und daher dem Wohl des Bundes Nachteile bereitet hätte. Die "Third-Party-Rule" ist eine allgemein anerkannte Verhaltensregel der internationalen Kooperation im Sicherheits- und Nachrichtendienstbereich, nach der ausgetauschte Informationen ohne Zustimmung des Informationsgebers nicht an Dritte weitergegeben oder für andere Zwecke verwendet werden dürfen.

Die Maßnahmen der Beklagten waren Gegenstand einer mehrstufigen und in seiner letzten Stufe gerichtsähnlichen Kontrolle durch die G 10-Kommission. Unter Berücksichtigung dieser Rechtskontrolle und in Abwägung mit dem überragenden Interesse der Beklagten an der Erhaltung der Funktions- und Kooperationsfähigkeit der Nachrichtendienste stand der Anspruch des Klägers auf Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt aus Art. 19 Abs. 4 GG der Annahme der Unzumutbarkeit weiteren Vortrags der Beklagten nicht entgegen. Dies gilt jedenfalls in Fallkonstellationen der vorliegenden Art, in denen Hinweise betroffen sind, die sich auf die Vorbereitung terroristischer Anschläge beziehen und für den Schutz höchster Rechtsgüter, namentlich Leben und Gesundheit der Bevölkerung, von herausragender Bedeutung sind.

Das OLG wird in dem neuen Berufungsverfahren die Gelegenheit haben, auf der Grundlage der Darlegungs- und Beweislast des Klägers dessen Vortrag zur Amtspflichtwidrigkeit tatrichterlich zu würdigen und in diesem Rahmen den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Die Anschlussrevision des Klägers war, unabhängig von der - in dem neuen Berufungsverfahren zu klärenden - Frage, ob ihm überhaupt dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte zusteht, unbegründet. Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es eine 10.000 € übersteigende Entschädigung verneint hat, war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Rechtsprechung
Amtshaftung: Schadensersatz für Überwachung durch den Verfassungsschutz
OLG Hamm vom 03.05.2024 - 11 U 133/22
MDR 2024, 1447
MDR0072291

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