05.09.2023

Diebstahl in der Notaufnahme: Patientin erhält Schadensersatz

Es besteht eine besondere Obhutspflicht einer Klinik für die persönliche Habe der Patienten. Die Klinik hat bei einer Notaufnahme die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um die persönlichen Gegenstände der Patienten zu sichern.

OLG Hamm v. 21.7.2023 - 26 U 4/23
Der Sachverhalt:
Die seinerzeit 95-jährige Klägerin hatte am 18.11.2021 in Begleitung ihrer Haushaltshilfe wegen Atembeschwerden ihre Hausärztin aufgesucht. Nachdem der Blutdruck der Klägerin gemessen und ein EKG geschrieben worden war, wurde sie auf Veranlassung der Ärztin mit einem Rettungswagen in die Notaufnahme des beklagten Klinikums verbracht. Bei ihrer dortigen Aufnahme um 9.52 Uhr war die Klägerin zumindest mit Leibwäsche, einem Wollpullover, einer Stoffhose und Lederschuhen bekleidet.

Im weiteren Verlauf wurde die Klägerin - jeweils liegend - zu einer Röntgenuntersuchung, anschließend wieder zurück in die Notaufnahme und von dort aus nach Abschluss der Untersuchungen auf die Station verbracht, wo sie um ca. 12.15 Uhr eintraf. Der Transport wurde von einer Subunternehmerin der Beklagten durchgeführt. Mehrere mit einem Namensaufkleber der Klägerin versehene Tüten für Patienteneigentum, die zu einem nicht näher aufklärbaren Zeitpunkt der Untersuchungen existierten und deren Inhalt zwischen den Parteien streitig blieb, gelangten nicht mit der Klägerin auf die Station.

Am 19.11.2021 schloss die Klägerin einen schriftlichen Behandlungsvertrag mit der Beklagten, der u.a. einen Hinweis auf deren Hausordnung und AVB enthielt. Diese enthielten in § 17 eine Regelung über eingebrachte Sachen und in § 18 unter der Überschrift "Haftungsbeschränkung" folgenden Passus:

"(1) Für den Verlust oder die Beschädigung von eingebrachten Sachen, die in der Obhut des Patienten bleiben, oder von Fahrzeugen des Patienten, die auf dem Krankenhausgrundstück oder auf einem vom Krankenhaus bereitgestellten Parkplatz abgestellt sind, haftet der Krankenhausträger nicht; das gleiche gilt bei Verlust von Geld und Wertsachen, die nicht der Verwaltung zur Verwahrung übergeben wurden."

Die Klägerin begehrte später von der Beklagten Schadenersatz für die Kleidung und Gegenstände, die ihr nach Einlieferung in die Notaufnahme des Klinikums abhandengekommen sein sollen; darunter eine Brille mit einem Zeitwert von 1.400 € und Hörgeräte mit einem Zeitwert von 2.799 €. Die Beklagte war der Ansicht, es sei bereits kein Verwahrungsvertrag zustande gekommen.

Das LG hat die Beklagte unter Abweisung im Übrigen zur Zahlung von 1.955 € verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 3.150 € zu zahlen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 5.106 €.

Die Beklagte hat durch ihre ihr nach § 31 BGB bzw. § 278 BGB zuzurechnenden Beschäftigten der Klägerin gegenüber eine Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) aus dem zwischen ihr und der Klägerin mit Einlieferung in die Notaufnahme bzw. Behandlungsbeginn konkludent geschlossenen Behandlungsvertrag verletzt. Nach § 241 Abs. 2 BGB hat sich jeder Teil bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Person, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden. Der Inhalt dieser Schutzpflichten bestimmt sich dabei aus dem Zweck des Schuldverhältnisses, der Verkehrssitte und den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs.

Infolgedessen oblag der Beklagten eine Pflicht, dafür zu sorgen bzw. jedenfalls die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, dass die (teilweise) von ihr verpackten Gegenstände auch auf der Station im späteren Zimmer der Klägerin ankommen. Es war auch nicht ersichtlich, dass es unzumutbar wäre, insoweit entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Vielmehr bestand bei der Beklagten ein entsprechendes Verfahren zum Umgang mit Patienteneigentum in der Notaufnahme, nämlich das Verpacken in beschriftete bzw. mit entsprechenden Patientenaufklebern versehene Tüten. Die Beklagte hat die obige Pflicht verletzt, weil nach dem Ergebnis der insoweit ebenfalls nicht zu beanstandenden und auch von keiner der Parteien als fehlerhaft gerügten Beweisaufnahme überhaupt kein geregeltes Procedere, keine Dienstanweisung oder anderweitige interne Regelung bestanden hat.

Die Klägerin steht bei Ersatz ihrer Brille nicht besser als vorher, weil die Gläser der Brille bei ihrem Abhandenkommen erst ca. ein Jahr alt waren und modische Aspekte für die Klägerin eine untergeordnete Rolle spielen, was sich daran zeigte, dass sie bereits bei der letzten Beschaffung ihre Gläser in ihr vormaliges Gestell hatte einsetzen lassen. Hinzu kam, dass es sich um einen medizinischen bzw. notwendigen Gebrauchsgegenstand handelte, auf den die Klägerin zwingend angewiesen war. Hierdurch war ihre ansonsten bestehende Dispositionsfreiheit in Bezug auf die Frage des Obs und des Zeitpunktes einer Ersatzbeschaffung bzw. der Verwendung des Schadensersatzbetrages erheblich eingeschränkt. Die Neubeschaffung wurde ihr aufgedrängt; ein Abzug würde sie unzumutbar belasten und die Beklagte als Schädigerin unbillig entlasten. Letztlich standen der Klägerin stehen weitere 2.799 € für die Hörgeräte zu, weil sie deren Abhandenkommen bewiesen hatte.

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