06.04.2020

Dieselskandal: Kein Schadensersatz bei Kauf nach Bekanntwerden der Manipulationen

Fand der Kauf eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Pkw nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Problematik statt, scheiden Schadensersatzansprüche aus, da der Zurechnungszusammenhang durch die Bekanntgabe der Manipulationen unterbrochen wurde.

OLG München v. 30.3.2020 - 21 U 6056/19
Der Sachverhalt:
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die der Kläger gegen die Beklagte als Herstellerin eines Fahrzeugs geltend macht, in dessen Motor eine abgasbeeinflussende Software verbaut worden ist.

Der Kläger erwarb am 29.1.2016 einen gebrauchten PKW Audi A6 Avant 2.0 TDI zum Preis von 31.000 €. In dem Fahrzeug war eine Motorgerätesoftware verbaut, durch welche im Prüfstandlauf bessere Stickoxidwerte (NOx) erzielt werden als im realen Fahrbetrieb. Auf die Problematik der Abgasmanipulationen hatten VW und Audi bereits im Herbst 2015 öffentlich hingewiesen, woraufhin eine ausführliche Berichterstattung in den Medien stattgefunden hatte.

Der Kläger hat erfolglos vor dem LG auf Schadensersatz geklagt. Auch die Berufung vor dem OLG wurde jetzt abgewiesen. Die Revision wurde zugelassen.

Die Gründe:
Ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB scheitert daran, dass der Senat keinen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Eintritt eines etwaigen Schadens beim Kläger sieht und zudem auch zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Erwerbs des Fahrzeugs, hier im Januar 2016, ein entsprechender Schädigungsvorsatz bei der Beklagten nicht (mehr) angenommen werden kann. Auf eine konkrete Kenntnis der Klagepartei, dass gerade der von ihr erworbene Wagen vom Abgasskandal betroffen war, kommt es damit nicht an.

Es kann dahinstehen, ob der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist oder nicht. Eine Ersatzpflicht setzt voraus, dass der Schaden, der hier in dem Abschluss des Kaufvertrages durch die Klagepartei zu sehen wäre, durch das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis, das hier in dem Inverkehrbringen eines Fahrzeuges mit einem Motor mit Software zur Unterscheidung des Fahr- und Prüfbetriebes läge, verursacht worden ist. In Fällen der mittelbaren Kausalität, in denen - wie hier - der Schaden erst durch ein Handeln des Geschädigten (mit-)verursacht wird, nämlich durch den Abschluss des Kaufvertrages, ist der Zurechnungszusammenhang nur gegeben, wenn die Handlung des Verletzten durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert worden ist. Die Beweislast für die Herausforderung trägt der Geschädigte. Ein Zurechnungszusammenhang ist u.a. dann nicht mehr geben, wenn - wie hier - der (potentielle) Schädiger zum maßgeblichen Zeitpunkt (Erwerb des Fahrzeugs) ausreichende Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Schadenseintritts getroffen hat. Dies ist hier der Fall.

Unstreitig (und gerichtsbekannt) hat die V. AG als Konzernmutter der Beklagten am 22. September 2015 eine an den Kapitalmarkt gerichtete ad hoc Mitteilung herausgegeben, in der sie über die Dieselproblematik informierte und mitteilte, dass "die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden" sei. Nachdem diese Ad-hoc-Mitteilung gemäß § 15 WpHG vom 22. September 2015 nicht von der Beklagten stammte, sondern von der Konzernmutter und sich an den Kapitalmarkt und nicht die allgemeine Öffentlichkeit richtete, dürfte sie noch nicht genügen, um die - unterstellte - Zurechenbarkeit und den - ebenfalls unterstellten - Vorsatz bei der Beklagten entfallen zu lassen. Hinzu kommt aber eine unmittelbar anschließende Information der Öffentlichkeit durch die Beklagte selbst: Sie hat in einer Mitteilung vom 2. Oktober 2015 die Presse über die Dieselproblematik informiert und eine in zahlreichen Medien erwähnte Internetwebseite geschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die Thematik Gegenstand einer sehr intensiven Berichterstattung in nahezu allen Zeitungen sowie Fernsehsendern und Onlinemedien in Deutschland. Die Berichterstattung erfolgte zwar überwiegend unter dem Stichwort "VW-Abgasskandal", es wurde aber regelmäßig auch über die Betroffenheit der im Konzern hergestellten Fahrzeuge berichtet und auch über die Abfragemöglichkeit für Audi-Fahrzeuge. Auch die Händler und Vertriebspartner wurden von der Beklagten informiert.

Durch die Schaltung der Webseite (mit entsprechender Bekanntmachung), über die die individuelle Betroffenheit eines Fahrzeugs recherchierbar war, ermöglichte die Beklagte die konkrete Feststellung für individuelle Halter und Kunden noch im Jahr 2015. Aus Sicht des Senats hat die Beklagte damit ausreichend die Betroffenheit der von ihr produzierten und in Verkehr gebrachten Fahrzeuge vom Abgasskandal für die Allgemeinheit offen gelegt und sie hat damit auch vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (Januar 2016) hinreichende Maßnahmen getroffen, um die weiteren Auswirkungen ihres - unterstellt - sittenwidrigen Verhaltens einzudämmen. Damit ist der Zurechnungszusammenhang in Bezug auf Schäden wegen nach Bekanntwerden der Diesel-Thematik verkaufter Fahrzeuge auf diese Weise unterbrochen worden, vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 26.11.2019 - 10 U 199/19 und OLG Celle, Urteil v. 29.4.2019 - 7 U 159/19 (die allerdings die - behauptete - Sittenwidrigkeit insgesamt entfallen lassen).

Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrages sieht der Senat auch keinen Schädigungsvorsatz der Beklagten, weil im Hinblick auf die Offenlegung der maßgeblichen Aspekte der Manipulation durch die Pressemitteilungen und die Informationen an die Halter von betroffenen Fahrzeugen nicht (mehr) davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte die Schädigung der Klagepartei in ihren Willen aufgenommen, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.

Ein Schadensersatzanspruch besteht auch nicht wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach §§ 6, 27 EG-FGV, weil § 27 EG-FGV schon kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Insoweit folgt der Senat dem OLG Braunschweig in seiner Entscheidung vom 19.2.2019 - 7 U 134/17.

Der Senat schließt sich mit dem vorliegenden Urteil einer Vielzahl anderer obergerichtlicher Entscheidungen an, denen ähnliche Fallgestaltungen zugrundelagen, so u.a. OLG Frankfurt, Urteil v. 6.11.2019 - 13 U 156/19; OLG Saarbrücken, Urteil v. 28.8.2019 - 2 U 94/18; OLG Stuttgart, Urteil v. 7.8.2019 - 9 U 9/19; OLG Stuttgart, Urteil v. 26.11.2019 - 10 U 199/19; OLG Köln, Urteil v. 6.6.2019 - 24 U 5/19; OLG Dresden, Urteil v. 24.7.2019 - 9 U 2067/18; OLG Celle, Urteil v. 29.4.2019 - 7 U 159/19; OLG Braunschweig, Urteil v. 2.11.2017 - 7 U 69/17; OLG Schleswig-Holstein, Urteil v. 29.11.2019 - 1 U 32/19; OLG Koblenz, Urteil v. 25.10.2019 - 3 U 948/19.

Angesichts der Tatsache, dass es auch abweichende Entscheidungen von Oberlandesgerichten (OLG Hamm, Urteil v. 10.9.2019 - 13 U 149/18; OLG Stuttgart, Urteil v. 19.12.2019 - 7 U 85/19; OLG Oldenburg, Urteil v. 16.1.2020 - 14 U 166/19; Brandenburgisches OLG, Urteil v. 11.2.2020 - 3 U 89/19) gibt, denen der Senat allerdings nicht folgt, ist jedoch die Zulassung der Revision veranlasst.

Bayerische Staatskanzlei online
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