17.05.2019

Eigenbedarfskündigung trotz Vorliegens von Härtegründen im Sinne des § 574 Abs. 1 BGB

Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Bestandsinteresse eines schwer herzkranken, seit 45 Jahren in der Wohnung verwurzelten Mieters in sehr hohem Alter hinter dem Erlangungsinteresse der sich auf Eigenbedarf berufenden Vermieter zurückzustehen, wenn dem Mieter eine gleichwertige, in der unmittelbaren Umgebung gelegene Ersatzwohnung zu identischen Konditionen vom Vermieter angeboten wird und dieser zudem die Kosten und die gesamte Umzugsorganisation übernimmt.

LG München v. 22.3.2019 - 14 S 5271/17
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohnhauses, in dem sie selbst leben und eine Wohnung an den Beklagten vermieten hatten. Der Beklagte ist ein 88-jähriger Mieter, der aufgrund einer schweren Herzerkrankung nur sehr beschränkt mobil ist. Gemäß späteren Sachverständigen kann der Beklagte nur ein halbes Stockwerk steigen bzw. 100 Meter zu Fuß zurücklegen.

Das AG erkannte zwar auf Klage der Vermieter, dass ihre Eigenbedarfskündigung wirksam erfolgte, weil sie ihr Anwesen zusammenlegen wollten, um den Platz als Familienwohnsitz und Büro zu nutzen. Der Räumungsanspruch bestehe jedoch aufgrund des beklagtenseits geltend gemachten Härteeinwandes nicht, das Mietverhältnis sei auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Ein Umzug würde aufgrund der emotionalen Entwurzelung und der körperlichen Belastungen zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands, wenn nicht sogar zum vorzeitigen Tod des Beklagten führen.

Auf Beschwerde der Kläger hin gab das LG der Klage statt.

Die Gründe:
Die Kläger haben gegen den Beklagten einen Räumungs- und Herausgabeanspruch der Wohnung gem. §§ 546 Abs. 1, 985 BGB.

Die Beendigung des Mietverhältnisses stellt zwar auf Seiten des Beklagten eine Härte i.S.d. § 574 Abs.1 BGB dar, die jedoch unter Würdigung der berechtigten Interesse der Vermieter zu rechtfertigen ist. Das Erlangungsinteresse der Kläger überwiegt und daher ist das Mietverhältnis mithin nicht fortzusetzen. Es ist i.R.d. § 574 Abs.1 BGB zu fragen, welche Auswirkungen eine Vertragsbeendigung für den Mieter haben würde und wie sich eine Vertragsfortsetzung auf den Vermieter auswirkt. Ist die Räumung für den Mieter mit einer Lebensgefahr verbunden, so müssen die Interessen des Vermieters zurückstehen. Die Interessen des Mieters an der Erhaltung seiner Gesundheit haben im allgemeinen Vorrang vor allgemeinen Finanzinteressen des Vermieters. Der Wunsch des Vermieters für sich und seine Familie ein angemessene Wohnung zu schaffen, ist umgekehrt vorrangig vor den Finanzinteressen des Mieters.

Für den Beklagten besteht ein Härtegrund i.S.d. § 574 Abs. 1 BGB. Eine Gefährdung der Gesundheit bei erzwungenem Umzug ist vorhanden. Es stehen damit auf beiden Seiten gewichtige Positionen gegenüber: für den Beklagten streiten offensichtlich seine Gesundheitsinteressen, für die Kläger die Berechtigung über ihr Eigentum disponieren und dieses ihren Vorstellungen entsprechend nutzen zu können. Nicht ausreichend kann es jedoch sein, von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beklagten ohne weiteres auf das Überwiegen der Interessen des Beklagten zu schließen. Laut Sachverständigen ist ein Umzug auch in Anbetracht der gesundheitlichen Einschränkungen möglich. Die Situation des Beklagten verbessert sich entscheidend dadurch, dass ihm von den Vermietern eine vergleichbare Wohnung in unmittelbarer Umgebung angeboten wird, und diese zudem die Umzugskosten und den damit verbundenen Organisationsaufwand abnehmen würden. Mithin überwiegen in dieser Konstellation die Gesundheitsbelange des Beklagten das Erlangungsinteresse der Kläger nicht.

Linkhinweis:
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LG München Endurteil vom 22.3.2019
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