17.10.2023

Eigeninitiativ vorgenommene Internet-Recherche des Patienten ersetzt nicht die ärztliche Aufklärungspflicht

Zwar kann eine Vorkenntnis der für die Einwilligung wesentlichen Umstände eine Aufklärung gem. § 630e Abs. 3 BGB entbehrlich machen. Die eigeninitiativ vorgenommene Recherche (hier: im Internet) kann die gebotene schonungslose Aufklärung, die den Patienten in die Lage versetzen soll, sorgfältig das Für und Wider der Behandlung abzuwägen, aber nicht ersetzen und den operierenden Arzt daher nicht entlasten.

LG Dortmund v. 17.8.2023 - 12 O 416/20
Der Sachverhalt:
Der über 40-jährige Kläger leidet an einer degenerativen Wirbelsäulenerkrankung. Er litt seit Jahren unter Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Bereits im Jahr 2012 kam es zur Exazerbation nach einem Verhebetrauma. Damals wurde ein als unauffällig befundetes Röntgentomogramm abgeleitet und die konservative Therapie eingeleitet. Am 27.3.2017 stellte der Kläger sich in der neurochirurgischen Praxis der Beklagten zu 1) bei dem dort tätigen Beklagten zu 2) vor. Am 24.5.2017 nahm Letzterer einen Eingriff unter Lokalanästhesie vor. Dabei erfolgte mittels einer Nadel die Implantation eines Hydrogelkissens mit Fehrfix an den Lendenwirbelkörpern 4/5. Die Wirbelsäulenbeschwerden traten auch nach weiterer Behandlungen immer wieder auf und endeten in einem Bandscheibenvorfall.

Der Kläger warf den Beklagten sowohl Behandlungs-als auch Aufklärungsfehler vor. Der Eingriff sei fehlerhaft durchgeführt worden, insbesondere habe der Beklagte zu 2) fehlerhaft eine 5 mm Kanüle verwendet. Außerdem habe es sich bei dem Eingriff um eine experimentelle Neulandmethode gehandelt, über die der Kläger nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Eine Aufklärung in Bezug auf die neue Eingriffsmethode, deren Vor- und Nachteile und Risiken, insbesondere das Risiko einer Berufsunfähigkeit, sei nicht erfolgt. Auch eine Aufklärung über Behandlungsalternativen habe es nicht gegeben.

Die Beklagten hielten dem entgegen, der Beklagte zu 2) habe keine 5 mm Kanüle, sondern eine dünne Nadel mit einem Außendurchmesser von 1,4 mm, versehen mit einem Mandarin, verwendet. Bei der Behandlungsmethode handele es sich zudem nicht um eine experimentelle Neulandmethode, sondern um ein etabliertes Standardverfahren. Hinsichtlich der erhobenen Aufklärungsrüge behaupteten die Beklagten, der Kläger hätte sich bereits im Internet über die Methode der Auffüllung der Bandscheibe mit Hydrogel informiert und diese bereits am 27.3.2017 mit dem Beklagten zu 2) besprochen.

Das LG hat der auf mind. 15.000 € Schmerzensgeld gerichtete Klage lediglich  i.H.v 500 € stattgegeben

Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus einer Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages gem. §§ 630a, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB und für die Beklagte zu 1) i.V.m. § 278 BGB sowie aus einer unerlaubten Handlung gem. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB und für die Beklagte zu 1) i.V.m. einer analogen Anwendung des § 31 BGB i.H.v. 500 € zu.

Die ärztliche Behandlung des Klägers mittels der Hydrogeltherapie erfolgte rechtswidrig. Die darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten konnten eine ordnungsgemäße Aufklärung bereits nicht hinreichend darlegen und jedenfalls auch nicht beweisen. Zwar dürfte zwischen den Parteien ein Aufklärungsgespräch stattgefunden haben, in welchem insbesondere die wesentlichen Risiken wie Blutungen, Infektion, Lähmungen und Gefühlsstörungen angesprochen worden sein dürften. Die Kammer war aber davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2) den Kläger nicht darüber aufgeklärt hatte, dass es sich bei der streitgegenständlichen Hydrogeltherapie nicht um eine Standardmethode handele, deren Erfolgsaussichten unsicher seien und nach den Ärzteleitlinien überwiegend von einer solchen intradiskalen Behandlung abgeraten werde.

Dem Aufklärungsversäumnis stand auch eine etwaige Vorkenntnis des Klägers nicht entgegen. Zwar kann eine Vorkenntnis der für die Einwilligung wesentlichen Umstände eine Aufklärung gem. § 630e Abs. 3 BGB entbehrlich machen und der Kläger hatte sich nach eigenen Angaben über die Eingriffsmethode bereits im Vorfeld durch entsprechende Internetrecherche informiert. Die eigeninitiativ vorgenommene Recherche kann die gebotene schonungslose Aufklärung, die den Patienten in die Lage versetzen soll, sorgfältig das Für und Wider der Behandlung abzuwägen, nach Auffassung der Kammer aber nicht ersetzen und die Beklagten daher nicht entlasten. Auch der Umstand, dass der Kläger die Beklagten wohl gezielt für eine solche Behandlung aufgesucht hatte, führte zu keiner anderen Beurteilung. Die Kammer hat sich nicht des Eindrucks erwehren können, dass der Beklagte zu 2) die Behandlung trotz seiner Kenntnis um die unsicheren Erfolgschancen als erfolgsversprechende Behandlungsmethode möglicherweise sogar im Rahmen eines Geschäftsmodells empfohlen haben könnte.

Die Kammer war davon überzeugt, dass dem Kläger aufgrund der vorbenannten Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten zumindest in geringem Umfang ein Schaden entstanden ist. Weitere vom Kläger behauptete und zu beweisende Schadensfolgen konnten nach den Ausführungen des Sachverständigen jedoch nicht ursächlich auf die Behandlung zurückgeführt werden. Danach habe es sich bei dem Bandscheibenvorfall um ein Akutereignis gehandelt, das zeitlich ganz klar zuzuordnen sei und nicht unmittelbar oder im Zusammenhang mit der Behandlung aufgetreten sei. Zwar sei der biomechanische Zusammenhang bis zu einem gewissen Grad gegeben. Denn bei der Hydrogeltherapie werde Material in den Bandscheibenraum eingebracht, das zur Erhöhung des intradiskalen Drucks führe, weshalb es durchaus möglich sei, dass es zum leichteren Auftreten von Bandscheibenvorfällen kommen könne. Eine diesbezüglich aussagekräftige Datenlage gebe es aber nicht, weshalb es sich allenfalls um eine spekulative Annahme handele.

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