Entgegenstehende Interessen des Kindes nach § 1680 Abs. 2 BGB
OLG Frankfurt a.M. v. 17.2.2022 - 6 UF 22/22
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist der Vater der im vorliegenden Verfahren betroffenen Beteiligten zu 1), die in knapp fünf Monaten ihr 16. Lebensjahr vollenden wird. Ihre Mutter übte bis zu ihrem Tod im Jahr 2021 das Sorgerecht aufgrund Beschlusses des OLG Frankfurt vom 2.12.2015 allein aus. Einen Antrag auf Abänderung dieser Entscheidung und Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Eltern gemeinsam hat das AG Dieburg am 9.6.2021 unter Hinweis auf eine mangelnde Vertrauensbasis sowie mangelnden Austausch und Kommunikation der Eltern abgelehnt.
Die Jugendliche wurde bis zu deren Tod von ihrer Mutter betreut und versorgt, zuletzt im Haushalt der Großeltern mütterlicherseits aufgrund der Erkrankung der Mutter. Der Vater der Jugendlichen ist Angehöriger der US-Streitkräfte, hat aber seinen Wohnsitz in Deutschland, ca. 190 km entfernt vom Wohnort der Großeltern. Die Beteiligten zu 1) hat regelmäßig wöchentlich samstags Umgang mit ihrem Vater, der vor Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung verschiedentlich ausgefallen ist.
Nach dem Tod der Mutter haben die Beteiligten zu 4. und 5. (Großeltern mütterlicherseits) beantragt, sie als Vormund zu bestellen. Dabei beriefen sie sich u.a. auf eine mit Unterschriftsbeglaubigung durch das Ortsgericht versehene und zu den Akten gereichte Vollmacht der Mutter, in der sie ermächtigt wurden, das alleinige Sorgerecht für die Jugendliche auszuüben, sofern die Mutter aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sein sollte.
Nach Anhörung aller Beteiligten ordnete das AG für die betroffene Jugendliche die Vormundschaft an und bestellte die Großeltern mütterlicherseits zum Vormund. Die elterliche Sorge sei vorliegend nicht auf den Vater zu übertragen, weil dies dem Kindeswohl widerspreche. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Der Übertragung der elterlichen Sorge für die betroffene Jugendliche auf den Vater stand nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere der Anhörung der Jugendlichen, entgegen, dass sie ihrem Wohl nicht entspricht.
Gem. § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB hat das Familiengericht, wenn ein Elternteil, dem die Alleinsorge nach § 1626a Abs. 3 BGB oder § 1671 BGB allein zustand, gestorben ist, die elterliche Sorge dem überlebenden Elternteil zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Hat ein Elternteil jemandem eine Sorgerechtsvollmacht erteilt und stirbt dieser Elternteil, ist die bevollmächtigte Person nicht wirksam benannt, ihre Auswahl entspricht aber in der Regel dem mutmaßlichen Willen des Elternteils. Entgegenstehende Interessen des Kindes i.S.v. § 1680 Abs. 2 BGB liegen nicht erst vor, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls durch den Sorgerechtsübergang festzustellen ist. Sie sind bereits gegeben, wenn sich ein fünfzehnjähriges Kind nachhaltig, klar und konsistent aus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den überlebenden Elternteil ausspricht.
Insofern war das AG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wohl der Jugendlichen widersprechen würde. Dabei war zwar in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, dass der Vater mit dem weiteren regelmäßigen Aufenthalt der Jugendlichen bei ihren Großeltern mütterlicherseits einverstanden war, so dass sie in jedem Fall weiter in ihrem bisherigen Umfeld leben könnte. Eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater stand aber zum einen entgegen, dass die Jugendliche im Fall der Ausübung der elterlichen Sorge durch den Vater angesichts der Gesamtumstände in eine Vermittlerrolle zwischen den Institutionen, ihren Großeltern mütterlicherseits und ihrem Vater gerät. Wesentlich und letztendlich entscheidend fiel angesichts des Alters der Jugendlichen von 15 Jahren und sieben Monaten ihr nachhaltig, klar und konsistent geäußerter Wille ins Gewicht.
Bemerkenswert war dabei, dass die Jugendliche nicht nur in der Anhörung ihre Auffassungen mitgeteilt hatte, sondern auf eigenen Wunsch auch an dem Termin zur Anhörung des Vaters und der Großeltern mütterlicherseits und Erörterung teilgenommen und dort ihre Position klar vertreten und begründet hatte. Es ist auch nachvollziehbar und überzeugend, wenn sie auf ihre schulischen Belastungen verweist, die neben den Belastungen durch den Verlust der Mutter stehen, und eine sorgerechtliche Regelung ablehnt, die für sie kompliziert wäre, weil der Entscheidungsträger nicht vor Ort lebt, jedenfalls vorläufig Sprachbarrieren für das unmittelbare Gespräch zwischen Vater und Großeltern bestehen und die Gefahr bestünde, dass sie in dem Entscheidungsprozess nicht nur sich selbst vertritt, sondern auch eine Vermittlerrolle bekommt.
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Die Jugendliche wurde bis zu deren Tod von ihrer Mutter betreut und versorgt, zuletzt im Haushalt der Großeltern mütterlicherseits aufgrund der Erkrankung der Mutter. Der Vater der Jugendlichen ist Angehöriger der US-Streitkräfte, hat aber seinen Wohnsitz in Deutschland, ca. 190 km entfernt vom Wohnort der Großeltern. Die Beteiligten zu 1) hat regelmäßig wöchentlich samstags Umgang mit ihrem Vater, der vor Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung verschiedentlich ausgefallen ist.
Nach dem Tod der Mutter haben die Beteiligten zu 4. und 5. (Großeltern mütterlicherseits) beantragt, sie als Vormund zu bestellen. Dabei beriefen sie sich u.a. auf eine mit Unterschriftsbeglaubigung durch das Ortsgericht versehene und zu den Akten gereichte Vollmacht der Mutter, in der sie ermächtigt wurden, das alleinige Sorgerecht für die Jugendliche auszuüben, sofern die Mutter aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sein sollte.
Nach Anhörung aller Beteiligten ordnete das AG für die betroffene Jugendliche die Vormundschaft an und bestellte die Großeltern mütterlicherseits zum Vormund. Die elterliche Sorge sei vorliegend nicht auf den Vater zu übertragen, weil dies dem Kindeswohl widerspreche. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Der Übertragung der elterlichen Sorge für die betroffene Jugendliche auf den Vater stand nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere der Anhörung der Jugendlichen, entgegen, dass sie ihrem Wohl nicht entspricht.
Gem. § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB hat das Familiengericht, wenn ein Elternteil, dem die Alleinsorge nach § 1626a Abs. 3 BGB oder § 1671 BGB allein zustand, gestorben ist, die elterliche Sorge dem überlebenden Elternteil zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Hat ein Elternteil jemandem eine Sorgerechtsvollmacht erteilt und stirbt dieser Elternteil, ist die bevollmächtigte Person nicht wirksam benannt, ihre Auswahl entspricht aber in der Regel dem mutmaßlichen Willen des Elternteils. Entgegenstehende Interessen des Kindes i.S.v. § 1680 Abs. 2 BGB liegen nicht erst vor, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls durch den Sorgerechtsübergang festzustellen ist. Sie sind bereits gegeben, wenn sich ein fünfzehnjähriges Kind nachhaltig, klar und konsistent aus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den überlebenden Elternteil ausspricht.
Insofern war das AG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wohl der Jugendlichen widersprechen würde. Dabei war zwar in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, dass der Vater mit dem weiteren regelmäßigen Aufenthalt der Jugendlichen bei ihren Großeltern mütterlicherseits einverstanden war, so dass sie in jedem Fall weiter in ihrem bisherigen Umfeld leben könnte. Eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater stand aber zum einen entgegen, dass die Jugendliche im Fall der Ausübung der elterlichen Sorge durch den Vater angesichts der Gesamtumstände in eine Vermittlerrolle zwischen den Institutionen, ihren Großeltern mütterlicherseits und ihrem Vater gerät. Wesentlich und letztendlich entscheidend fiel angesichts des Alters der Jugendlichen von 15 Jahren und sieben Monaten ihr nachhaltig, klar und konsistent geäußerter Wille ins Gewicht.
Bemerkenswert war dabei, dass die Jugendliche nicht nur in der Anhörung ihre Auffassungen mitgeteilt hatte, sondern auf eigenen Wunsch auch an dem Termin zur Anhörung des Vaters und der Großeltern mütterlicherseits und Erörterung teilgenommen und dort ihre Position klar vertreten und begründet hatte. Es ist auch nachvollziehbar und überzeugend, wenn sie auf ihre schulischen Belastungen verweist, die neben den Belastungen durch den Verlust der Mutter stehen, und eine sorgerechtliche Regelung ablehnt, die für sie kompliziert wäre, weil der Entscheidungsträger nicht vor Ort lebt, jedenfalls vorläufig Sprachbarrieren für das unmittelbare Gespräch zwischen Vater und Großeltern bestehen und die Gefahr bestünde, dass sie in dem Entscheidungsprozess nicht nur sich selbst vertritt, sondern auch eine Vermittlerrolle bekommt.
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