20.04.2020

Ermessensfehlerhafte Ermittlung ausländischen Rechts durch den deutschen Tatrichter

Der BGH hatte sich mit der Frage der Anwendbarkeit litauischen Rechts auf den Regressanspruch eines litauischen Kfz-Haftpflichtversicherers nach einem Verkehrsunfall einer litauischen Staatsbürgerin in Deutschland sowie der Frage der ausreichenden Ermittlung ausländischen Rechts durch den deutschen Tatrichter auseinanderzusetzen.

BGH v. 18.3.2020 - IV ZR 62/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte fuhr in Berlin unter Alkoholeinfluss mit einem in Litauen zugelassenen PKW, der bei der Klägerin nach einem Versicherungsvertrag mit der in Litauen wohnhaften Fahrzeughalterin haftpflichtversichert ist, und kollidierte dort mit einem anderen Fahrzeug.

Die Klägerin ließ den Schaden des Unfallgegners regulieren. Sie meint, die Beklagte sei verpflichtet, ihr den an den Unfallgegner geleisteten Schadensersatz sowie die entstandenen Abwicklungskosten in voller Höhe zu erstatten. Das ergebe sich aus dem litauischen Recht, das im Streitfall anzuwenden sei.

Das LG hat die auf Zahlung von 6.000,- € und Verzugszinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr überwiegend stattgegeben. Mit ihrer vom KG zugelassenen Revision erreichte die Beklagte nun die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils zur Neuverhandlung und -entscheidung vor dem Berufungsgericht.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Berechtigung des von der Klägerin erhobenen Anspruchs maßgeblich nach litauischem Recht zu beurteilen ist; soweit sie davon abhängt, ob und in welchem Umfang die Beklagte nach dem insofern gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO anwendbaren deutschen Recht (vgl. EuGH VersR 2016, 797 Rn. 51 ff. m.w.N.) ggü. dem Unfallgegner haftet, steht ihre Einstandspflicht (§ 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB) außer Streit. Die Anwendbarkeit des litauischen Rechts auf das Schuldverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten ergibt sich aus Art. 46d EGBGB (vormals Art. 46c EGBGB), der in Ausübung der Ermächtigung in Art. 7 Abs. 4 Buchst. b) Rom I-VO erlassen worden ist.

Zu Recht beanstandet die Revision mit der Verfahrensrüge jedoch, dass das Berufungsgericht das litauische Recht unzureichend ermittelt hat. Der Tatrichter hat das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (§ 293 ZPO). Dabei hat der deutsche Richter das ausländische Recht so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet. Wie der Tatrichter sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Vom Revisionsgericht wird insoweit lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hinreichend ausgeschöpft hat.

Im Allgemeinen werden die Grenzen der Ermessensausübung des Tatrichters durch die jeweiligen Umstände des Einzelfalles gezogen. An die Ermittlungspflicht werden umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder im Vergleich zum eigenen das anzuwendende Recht ist.

Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht sein Ermessen im Streitfall nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt. Die Revision beanstandet zu Recht, die angefochtene Entscheidung ziehe nur eine Rechtsvorschrift des litauischen Rechts heran, die das Berufungsgericht - teilweise abweichend von der von der Klägerin vorgelegten Übersetzung - eigenständig und lediglich "sinngemäß" in die deutsche Sprache übertragen hat. Schon das genügt den Anforderungen des § 293 ZPO nicht. Es kann insofern offenbleiben, ob das Berufungsgericht in Anbetracht des Vortrags der Parteien darüber hinaus hätte prüfen müssen, ob nach litauischem Recht die in Art. 22 Abs. 2 lit. KfzPflVG für den Kfz-Halter vorgesehenen oder anderweitige Regressbeschränkungen auch dem Fahrer zugutekommen können - sei es aufgrund der Auslegung des Art. 22 Abs. 2 lit. KfzPflVG durch die litauischen Gerichte, sei es infolge weiterer, vom Berufungsgericht nicht ermittelter litauischer Rechtsvorschriften.

Das Berufungsurteil ist deshalb im Umfang der Anfechtung aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
BGH online
Zurück