12.05.2025

Erneute mündliche Verhandlung nach Richterwechsel nicht entbehrlich

In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten.

BGH v. 16.4.2025 - VII ZR 126/23
Der Sachverhalt:
In einem Zivilrechtsstreit hatte nach der mündlichen Verhandlung ein Richterwechsel stattgefunden. Die neue Richterin hielt eine erneute mündliche Verhandlung vor dem Verkündungstermin nicht für erforderlich - und wies die Klage ab. Das Berufungsgericht wies auch die Berufung zurück.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hatte vor dem BGH Erfolg.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht nimmt an, dass das angefochtene Urteil des LG unter Verstoß gegen § 309 ZPO ergangen sei. Dies führe aber nicht zur Begründetheit der Berufung, zumal sich das angefochtene Urteil auf Rechtsausführungen beschränke. Insbesondere gebiete dieser Verstoß auch nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit diesem Vorgehen hat das Berufungsgericht - wie die Beschwerde zu Recht rügt - den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das erkennende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das ist nur durch die Mitwirkung an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung möglich, weil nach § 309 ZPO nur Richter das Urteil fällen können, die dieser Verhandlung beigewohnt haben.

Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist in der Berufungsinstanz nicht geheilt worden, da das Berufungsgericht ohne mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin entschieden hat.

Zwar folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung; vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll. Hat eine mündliche Verhandlung aber von Gesetzes wegen stattzufinden, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ein Recht auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung und zugleich auf deren Durchführung durch das Gericht.

So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen. Es durfte nicht annehmen, eine mündliche Verhandlung sei nicht geboten. In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung in jedem Fall geboten. Die Erwägungen des Berufungsgerichts dazu, dass und warum die vorzunehmende rechtliche Würdigung angemessen mit der Berufungsführerin im schriftlichen Verfahren erörtert werden könne, können deshalb im vorliegenden Fall an der Notwendigkeit der mündlichen Verhandlung nichts ändern.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Unterbleibt eine einfachrechtlich zwingend gebotene mündliche Verhandlung, kann in aller Regel nicht ausgeschlossen werden, dass bei Durchführung der mündlichen Verhandlung eine andere Entscheidung ergangen wäre (vgl. BVerfG v. 3.7.2019 - 1 BvR 2811/18). In derartigen Fällen bedarf es keiner näheren Darlegung dazu, was der Beschwerdeführer in dieser Verhandlung vorgetragen hätte.


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