10.07.2025

Ersatz von Verdienstausfall nach einem Verkehrsunfall unter Berücksichtigung einer möglichen Schadensminderungspflicht

Im Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung obliegt es als Ausfluss der Schadensminderungspflicht dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten. Auch ist der Verletzte aus seiner Schadensminderungspflicht gegenüber dem Schädiger grundsätzlich gehalten, im Rahmen der Zumutbarkeit an Umschulungsmaßnahmen teilzunehmen.

OLG Stuttgart v. 8.7.2025 - 6 U 145/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 7.10.2016 geltend gemacht, bei dem er mit seinem Motorrad zu Fall kam, als die Beklagte zu 1) als Fahrerin eines bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW die Fahrspur wechselte. Die Beklagten stellten nicht in Abrede, dass sie dem Grunde nach für den Unfall voll haften. Der Kläger war im Zeitpunkt des Unfalls als Postzusteller fest angestellt und ist es auch bis heute.

Das LG hat dem Kläger über bereits gezahlte 5.000 € hinaus ein weiteres Schmerzensgeld von 10.000 € zugesprochen. Verdienstausfall könne der Kläger dagegen nur für die Zeit vom Unfall bis zum 31.12.2017 verlangen. Danach sei ein weiterer Anspruch ausgeschlossen, weil er gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen habe. Ihm habe bereits auf Grundlage eines Gutachtens des medizinischen Dienstes vom 16.8.2017 klar sein müssen, dass er seine bisherige Tätigkeit nicht länger werde ausüben können. Rund 4,5 Monate ab diesem Zeitpunkt würden dem Kläger genügt haben, seinen Beruf zu wechseln bzw. sich umschulen zu lassen. Infolgedessen hat das LG dem Kläger unter Berücksichtigung erhaltenen Krankengeldes und ersparter Aufwendungen an Wasch- und Wegekosten einen Verdienstausfall von 1.743,36 € zugesprochen.

Der Kläger war der Ansicht, das LG habe schon zu Unrecht angenommen, dass er aus dem Gutachten hätte entnehmen können, dass er nicht mehr würde als Paketzusteller arbeiten können. Vielmehr habe er auf Genesung hoffen können; frühestens ab 22.1.2021 sei für ihn erkennbar geworden, dass er seine Tätigkeit nicht mehr würde fortsetzen können. Zudem sei der zugestandene Zeitraum von 4,5 Monaten für das Finden einer alternativen Tätigkeit viel zu kurz, zumal für eine Umschulung. Das LG bzw. die Beklagten - die für all das die Darlegungs- und Beweislast trügen - zeigten im Übrigen nicht auf, welche konkreten Stellen er hätte erhalten können, wenn überhaupt würde er nur den gesetzlichen Mindestlohn erhalten haben, der die vom Verdienstausfall abzuziehenden Lohnersatzleistungen nicht überschritten haben würde.

Der Kläger verlangte im Berufungsverfahren u.a. die Zahlung weiterer 17.304,35 €. Das OLG sprach ihm über den bereits ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 8.605,92 e zu.

Die Gründe:
Abweichend vom Urteil des LG steht dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz seines Verdienstausfallschadens auch für das Jahr 2018 zu, allerdings entgegen der Auffassung der Berufung nicht darüber hinaus.

Zwar ist das LG in der Sache vom richtigen rechtlichen Ausgangspunkt zu einem möglichen Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht ausgegangen. Im Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung obliegt es nämlich als Ausfluss der Schadensminderungspflicht dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten. Auch ist der Verletzte aus seiner Schadensminderungspflicht gegenüber dem Schädiger grundsätzlich gehalten, im Rahmen der Zumutbarkeit an Umschulungsmaßnahmen teilzunehmen.

Dabei trifft den Geschädigten im Hinblick auf den grundsätzlich vom Schädiger darzulegenden und zu beweisenden Einwand aus § 254 Abs. 2 BGB eine sekundäre Darlegungslast, wenn er einen Verdienstausfall als Schaden geltend macht und die Frage der verbleibenden Möglichkeit des Einsatzes seiner Arbeitskraft in Rede steht. Der Verletzte hat, wenn er wieder arbeitsfähig oder teilarbeitsfähig ist, den Schädiger in der Regel über die für ihn zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten und seine Bemühungen um einen angemessenen Arbeitsplatz zu unterrichten.

Infolgedessen verstieß der Kläger erst - aber immerhin - seit 2019/2020 gegen seine Schadensminderungspflicht. Allein aus dem Gutachten des medizinischen Dienstes vom 16.8.2017 ergab sich für den Kläger zwar noch nicht, dass er sich um eine alternative Tätigkeit würde bemühen müssen. Das war dann allerdings im Lauf der Jahre 2019/2020 der Fall. Dass er sich auch dann nicht einmal um eine alternative Tätigkeit bemüht hatte, ging zu Lasten des Klägers. Die beim Kläger bestehende Depression änderte daran nichts.

Dabei hatte der Kläger mit Beginn des Jahres 2019 seine Tätigkeit als Paketzusteller in vollem Umfang wieder aufgenommen, nach seinem eigenen Vortrag unter dauerhaften und nur durch hochdosierte Schmerzmittel erträglichen Schmerzen am Daumen. Angesichts dieser Verhältnisse musste es sich dem Kläger aufdrängen, dass sich an seinem Zustand nichts mehr würde ändern lassen. Für ihn erkennbar war er aus Sicht der behandelnden Ärzte austherapiert. Das war offensichtlich kein auf Dauer haltbarer Zustand und es erschien als Verstoß gegen Treu und Glauben, dass der Kläger sich gleichwohl nicht um alternative, den Daumen nicht vergleichbar belastende Tätigkeiten bemüht, sondern sich auf eine fortdauernde Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz von Verdienstausfall verlassen hatte.

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