19.06.2023

EU-Fluggastrechte für Verspätungen gelten auch bei Starts oder Landungen außerhalb der EU

Der Begriff "direkte Anschlussflüge" i.S.v. Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO kann auch einen Beförderungsvorgang erfassen, der aus mehreren Flügen besteht, die von unterschiedlichen, nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundenen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden. Ausreichend dafür ist, dass die Flüge von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurden, das einen einheitlichen Flugschein i.S.v. Art. 2 Buchst. f FluggastrechteVO ausgegeben hat.

BGH v. 9.5.2023 - X ZR 15/20
Der Sachverhalt:
Die Zedentin hatte über ein Reisebüro für den 25.7.2018 einen Flug mit der Fluggesellschaft Swiss von Stuttgart nach Zürich und Flüge mit der Beklagten von Zürich nach Philadelphia sowie von Philadelphia nach Kansas City gebucht. Der erste und der zweite Flug wurden planmäßig durchgeführt. Auf der letzten Teilstrecke startete der Flug verspätet. Die Zedentin erreichte Kansas City mit einer Verspätung von mehr als vier Stunden. Die Klägerin verlangte daraufhin eine Ausgleichszahlung i.H.v. 600 €.

Das AG und LG haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Senat das Verfahren am 21.6.2021 ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO vorgelegt. Dieser hat mit Urteil vom 6.10.2022 (C-436/21) über die Vorlage entschieden. Daraufhin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

Gründe:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 FluggastrechteVO i.V.m. § 398 BGB.

Die Fluggastrechteverordnung ist gem. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a anwendbar für Fluggäste, die ihren Flug im Gebiet eines Mitgliedstaats antreten. Aus Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO folgt, dass die Verordnung auch anzuwenden ist, wenn der Fluggast seinen endgültigen Zielort über direkte Anschluss-flüge erreicht. Und beide Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt. Nach EuGH-Rechtsprechung ist die Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen unter Berücksichtigung des ersten Abflugorts und des Endziels zu beurteilen, wenn der Flug als eine Gesamtheit anzusehen ist. Der Begriff "direkte Anschlussflüge" i.S.v. Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO ist dahin zu verstehen, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung geregelten Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn zwei oder mehrere Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren.

Wie der EuGH auf das im Streitfall ergangene Vorlageersuchen entschieden hat, kann der Begriff "direkte Anschlussflüge" auch einen Beförderungsvorgang erfassen, der aus mehreren Flügen besteht, die von unterschiedlichen, nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Ausreichend dafür ist, dass die Flüge von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurden, das einen einheitlichen Flugschein i.S.v. Art. 2 Buchst. f FluggastrechteVO ausgegeben hat. Auch in diesem Zusammenhang sind Einzelheiten der Gepäckbeförderung grundsätzlich nicht von Bedeutung. Im Streitfall ergab sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, dass das Reisebüro einen einheitlichen Flugschein für alle Teilsegmente ausgegeben hatte.

Das Reisebüro hatte eine Rechnung zu einem "Vermittlungsauftrag" erteilt, die für die hier interessierenden Flüge sowie für den Rückflug von Kansas City über Chicago und Heathrow nach Stuttgart einen einheitlichen "Teilnehmerpreis" auswies. Aus der Rechnung ergab sich ferner, dass das Reisebüro für die Flüge ein einheitliches elektronisches Ticket ausgegeben hatte, dessen Nummer - zum Teil ergänzt durch zusätzliche Ziffern - auch auf den Bordkarten für die drei hier interessierenden Flüge wiedergegeben war. Vor diesem Hintergrund waren die drei von der Zedentin gebuchten Flüge als einheitlicher Flug anzusehen. Dies hatte zur Folge, dass der Abflugort Stuttgart war und damit auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO lag.

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