22.11.2022

Fluggastrechte: Erstattung der Flugscheinkosten auch für Nicht-Vertragspartner des Luftbeförderungsvertrags

Der für den Fall der Annullierung eines Fluges in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO wahlweise vorgesehene Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten steht dem jeweiligen Fluggast auch dann zu, wenn er nicht Vertragspartner des Luftbeförderungsvertrags ist.

BGH v. 27.9.2022 - X ZR 35/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin, die Ausgleichs- und Erstattungsforderungen auf der Grundlage der FluggastrechteVO aufkauft, nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Erstattung von Flugscheinkosten in Anspruch.

Die im Jahr 2017 geborene Zedentin war am 9. und 12.4.2020 zusammen mit ihren gesetzlichen Vertretern auf von der Beklagten durchzuführende Flüge von Berlin nach Rom und zurück gebucht. Die Gesamtkosten betrugen rd. 410 €. Die Beklagte annullierte sowohl den Hin- als auch den Rückflug. Mit einer von ihren gesetzlichen Vertretern unterzeichneten Erklärung trat die Zedentin ihren Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten an die Klägerin ab.

Das AG wies die auf Zahlung von rd. 140 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit gerichtete Klage ab; das LG gab ihr statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem LG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das LG hat zu Recht die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht.

Der für den Fall der Annullierung eines Fluges in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO wahlweise vorgesehene Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten steht dem Fluggast auch dann zu, wenn er nicht Vertragspartner des Luftbeförderungsvertrags ist. Die Frage, wer für den Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO aktivlegitimiert ist, wird in der Instanzrechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, Inhaber des Anspruchs seien nur Personen, die den Flug selbst gebucht und damit Vertragspartei des Beförderungsvertrags geworden seien und als solche auch den Flugpreis entrichtet hätten. Nach anderer Auffassung steht der Anspruch dem von der Annullierung betroffenen Fluggast zu, unabhängig davon, ob er oder ein Dritter den Beförderungsvertrag geschlossen und den Flugpreis gezahlt hat. Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu.

Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO, der nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO bei Annullierung eines Fluges Anwendung findet, räumt Fluggästen ein Wahlrecht zwischen anderweitiger Beförderung und der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Art. 7 Abs.3 FluggastrechteVO genannten Modalitäten zu dem Preis ein, zu dem der Flugschein erworben wurde. Nach dem Wortlaut der Vorschrift steht das Wahlrecht dem betroffenen Fluggast zu. Dies spricht dafür, dass dem Fluggast auch der von ihm gewählte Anspruch zusteht. Der Wortlaut der Vorschrift unterscheidet insoweit nicht zwischen den einzelnen Ansprüchen. Dies spricht dafür, dass dem Fluggast ggf. auch der Anspruch auf Erstattung der Flugkosten zusteht.

Dieses Ergebnis ist systematisch folgerichtig. Die dem Fluggast im Falle einer Annullierung nach Art. 5 Abs. 1 FluggastrechteVO zustehenden Ansprüche auf Ausgleichszahlungen, Unterstützungsleistungen und Betreuungsleistungen sind gesetzliche Ansprüche. Diese Ansprüche setzen zwar eine bestätigte Buchung und damit in der Regel einen Beförderungsvertrag voraus. Sie ergeben sich aber nicht aus dem Beförderungsvertrag, sondern unmittelbar aus der Verordnung. Schuldner dieser Ansprüche ist das jeweils ausführende Luftfahrtunternehmen. Dies ist nicht zwingend das Unternehmen, das den Beförderungsvertrag mit dem Fluggast geschlossen hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, wenn auch die Aktivlegitimation nicht von der Stellung als Vertragspartner des Beförderungsvertrags abhängt. Entgegen der Auffassung der Revision spricht die Regelung in Art. 8 Abs. 2 FluggastrechteVO nicht gegen, sondern für dieses Ergebnis. Der Umstand, dass sich aus dem Beförderungsvertrag und der Verordnung zwei Ansprüche auf Erstattung der Flugkosten für zwei unterschiedliche Gläubiger ergeben können, führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Im Streitfall war danach ursprünglich die Zedentin aktivlegitimiert. Diese hat den Anspruch nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LG wirksam an die Klägerin abgetreten.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Entschädigung bei verpasstem Flug wegen überlanger Wartezeit vor der Sicherheitskontrolle
OLG Frankfurt vom 27.01.2022 - 1 U 220/20
MDR 2022, 701

Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahre 2020
Ernst Führich, MDR 2021, 909

Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!

BGH online
Zurück