04.12.2023

Gemietete Segelyacht während der Pandemie: Störung der Geschäftsgrundlage?

Für den Mieter einer Segelyacht kann grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wenn der geplante Segeltörn aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil als ultima ratio vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen, wenn dies auch dem anderen Vertragsteil zumutbar ist.

BGH v. 11.10.2023 - XII ZR 87/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten mit Klage und Widerklage über die Miete für eine Segelyacht. Die Klägerin und der Beklagte schlossen am im Dezember 2019 einen Chartervertrag über eine Segelyacht (ohne Besatzung) mit Liegeplatz in H. (Schleswig-Holstein) für die Zeit vom 16. bis zum 22.5.2020. Auf die Miete von 2.748 € erbrachte der Beklagte vereinbarungsgemäß eine Anzahlung von 1.374 €. Weitere Zahlungen leistete er nicht.

Aufgrund der zur Eindämmung der sich im Frühjahr 2020 verbreitenden COVID-19-Pandemie erlassenen Landesverordnung in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung - SARS-CoV-2-BekämpfVO) galt in Schleswig-Holstein in der Zeit vom 4. bis zum 17.5.2020 eine Vielzahl von Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens. Auch unter der ab 18.5.2020 geltenden Fassung der Landesverordnung galten weiterhin Kontakt-, Abstands- und Hygieneregeln sowie Einschränkungen u.a. für die Ausübung von Sport und Freizeitaktivitäten.

Mit Schreiben vom 11.5.2020 kündigte der Beklagte unter Hinweis auf die COVID-19-Pandemie den Chartervertrag. Verhandlungen der Parteien über eine Umbuchung blieben ohne Ergebnis. Eine anderweitige Vermietung der Yacht war der Klägerin für die vereinbarte Mietzeit nicht mehr möglich.

AG und LG wiesen die auf Zahlung der Restmiete i.H.v 1.374 € gerichtete Klage ab und verurteilten die Klägerin auf die Widerklage des Beklagten hin zur Rückzahlung der erbrachten Anzahlung von 1.374 € nebst Zinsen. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Der Beklagte ist nicht gem. §§ 326 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 275 Abs. 1 und 4 BGB i.V.m. den Bestimmungen der zur vereinbarten Mietzeit geltenden Fassungen der SARS-CoV-2-BekämpfVO von seiner Verpflichtung zur Mietzahlung befreit.

Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen ist insbesondere nicht von der Wirksamkeit der vom Beklagten erklärten Kündigung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 und 3 BGB auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt zwar grundsätzlich ein Anspruch des Mieters, der bei einem gewerblichen Vermieter Räumlichkeiten zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, die aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht oder nicht wie geplant stattfinden konnte, auf Anpassung des Mietvertrags oder als ultima ratio eine Kündigung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 und 3 BGB in Betracht. Auch für einen Mietvertrag über eine Segelyacht ist dies nicht von vornherein ausgeschlossen.

Eine Störung der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt indes für sich genommen noch nicht ohne Weiteres zu einer Vertragsanpassung oder gar einer Kündigung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB) oder sogar eine Kündigung (§ 313 Abs. 3 BGB) rechtfertigt. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass nach einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt.

Auszugehen ist dabei zwar im Allgemeinen von dem Grundsatz, dass gem. § 537 Abs. 1 Satz 1 BGB der Mieter im Verhältnis zum Vermieter das Verwendungsrisiko bzgl. der Mietsache trägt. Nach der Rechtsprechung des Senats geht es jedoch über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus, wenn er eine konkrete Unternehmung, für die er einen Mietvertrag geschlossen hat, aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht oder nicht im geplanten Umfang durchführen kann. Da eine solche Gebrauchsbeschränkung an der Mietsache in diesem Fall Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ist, die nicht in die Verantwortung der Mietvertragsparteien fällt, kann das damit verbundene Risiko regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Als Rechtsfolge ist im Falle einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB diejenige zu wählen, die den Parteien unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zumutbar ist und durch die eine interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt wird. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil als ultima ratio vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen, wenn dies auch dem anderen Vertragsteil zumutbar ist. Auf dieser Grundlage hat das Gericht in tatrichterlicher Verantwortung für den konkreten Einzelfall die Voraussetzungen des § 313 BGB festzustellen und ggf. die Wahl der für die Vertragsparteien zumutbaren Rechtsfolge zu treffen, bei der ein weiter Ermessensspielraum des Tatgerichts besteht. Eine derartige Prüfung hat das LG nicht vorgenommen, weil es rechtlich unzutreffend von einem Fall der rechtlichen Unmöglichkeit als Grund für eine wirksame außerordentliche Kündigung ausgegangen ist.

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