07.02.2020

Haftpflichtversicherung für PIP-Brustimplantate: Beschränkung auf in Frankreich operierte Frauen war möglich

Generalanwalt Bobek ist der Ansicht, dass der Haftpflichtversicherungsschutz der PIP, einer Herstellerin von Brustimplantaten, wirksam auf Frauen beschränkt werden konnte, die in Frankreich operiert wurden. Das Unionsrecht steht bei seinem gegenwärtigen Stand der Beschränkung des Haftpflichtversicherungsschutzes für Medizinprodukte auf das Hoheitsgebiet Frankreichs nicht entgegen.

EuGH, C-581/18: Schlussanträge des Generalanwalts vom 6.2.2020
Der Sachverhalt:
Im Jahr 2006 wurden einer deutschen Patientin in Deutschland fehlerhafte Brustimplantate eingesetzt, die von der Poly Implant Prothèse SA (im Folgenden: PIP), einem inzwischen insolventen französischen Unternehmen, hergestellt wurden. Die Implantate waren nicht mit medizinischem Silikon, sondern mit nicht zugelassenem Industriesilikon gefüllt. Die Patientin klagt vor deutschen Gerichten gegen die französische Versicherungsgesellschaft Allianz IARD, bei der PIP die in Frankreich obligatorische Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, auf Schadensersatz. Der Versicherungsvertrag enthält allerdings eine Gebietsklausel, die den Versicherungsschutz ausschließlich auf in Frankreich begründete Schäden beschränkt. Daher sind PIP-Implantate, die in einen anderen Mitgliedstaat exportiert und dort eingesetzt wurden, nicht vom Versicherungsvertrag erfasst.

Vor diesem Hintergrund möchte das OLG Frankfurt a.M. vom EuGH wissen, ob es mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vereinbar ist, dass PIP bei der Allianz nur für Schäden versichert war, die durch ihre Implantate in Frankreich begründet wurden.

Die Gründe:
Der vorliegende Fall fällt in den Geltungsbereich des Unionsrechts. Insbesondere sind die Medizinprodukte, durch die der Schaden der Patientin begründet sein soll, unionsweit vertrieben worden. Der Schaden war somit gewissermaßen eine Folge des Warenverkehrs innerhalb der Union. Dass die Patientin nicht von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, ist für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts irrelevant. Das Sekundärrecht der Union enthält keine besonderen Bestimmungen über die Haftpflichtversicherung für Schäden, die dem Endverbraucher von Medizinprodukten zugefügt werden. Die Richtlinie 85/374 über die Produkthaftung sieht zwar eine strenge Haftungsregelung für Hersteller vor, enthält aber keine Vorschriften über eine Pflichtversicherung. Die Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte wiederum verlangt nur von benannten Stellen den Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Für Hersteller gilt diese Pflicht nicht.

Die Bestimmungen über den freien Verkehr erfassen nationale Vorschriften, die die Ein- oder Ausfuhr von Waren in einen oder aus einem Mitgliedstaat behindern. Sie regeln jedoch nicht den späteren Ge- oder Verbrauch von Waren nach deren Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat. Sobald sich die Waren in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befinden, müssen sie den Vorschriften entsprechen, die dieser Mitgliedstaat in Ausübung seiner Regelungshoheit erlassen hat. Der Umstand, dass in diesem Fall die Versicherung nicht mit den Waren nach Deutschland "reist", obwohl sie in Frankreich für den späteren Gebrauch dieser Waren im Inland verpflichtend ist, wird von den Bestimmungen über den freien Warenverkehr nicht erfasst.

In Bezug auf Art. 18 AEUV ist im Übrigen festzustellen, dass dieser Artikel nicht als eine eigenständige Bestimmung verstanden werden kann, die durchsetzbare Verpflichtungen begründen kann, die noch nicht in einer der vier Grundfreiheiten oder in einer anderen unionsrechtlichen Maßnahme speziell vorgesehen sind. Insbesondere würde Art. 18 AEUV durch eine solche Auslegung zu einer unbegrenzten Harmonisierungsvorschrift, was eine Störung der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zur Folge hätte. Das Grundprinzip für die Regulierung des Binnenmarkts ist die Wahrung der Regelungsvielfalt in den durch das Unionsrecht nicht ausdrücklich harmonisierten Bereichen. In der heutigen vernetzten Welt ergibt sich früher oder später zwangsläufig eine gewisse Interaktion zwischen Waren, Dienstleistungen oder Personen aus anderen Mitgliedstaaten. Dass Waren ursprünglich aus einem anderen Mitgliedstaat stammen, stellt keinen hinreichenden Grund für die Annahme dar, dass jede spätere streitige Angelegenheit in Bezug auf diese Waren in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Würde dies für eine eigenständige Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV ausreichen, würde jede beliebige Bestimmung eines Mitgliedstaats von dieser Vorschrift erfasst.

Dies hätte nicht nur zur Folge, dass jede Gebietsbezogenheit der Geltung von Gesetzen verdrängt würde, sondern würde auch zu Widersprüchen zwischen den Regelungssystemen der Mitgliedstaaten führen. Durch eine erweiternde Auslegung von Art. 18 AEUV könnten die Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats potenziell Geltung in ein und demselben Hoheitsgebiet erlangen, ohne dass es klare objektive Kriterien dafür gäbe, welchen Rechtsvorschriften in einem konkreten Streitfall Vorrang einzuräumen wäre, wobei die zu Schaden gekommene Person die Möglichkeit hätte, das für sie günstigste Recht zu wählen. In Ermangelung einer Harmonisierung ist es daher Sache der Mitgliedstaaten, die Versicherung für die in ihrem Hoheitsgebiet verwendeten Medizinprodukte zu regeln, auch wenn diese Produkte aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt sind. Frankreich konnte daher dafür entscheiden, ein höheres Schutzniveau für Patientinnen und Nutzerinnen von Medizinprodukten dadurch einzuführen, dass im eigenen Hoheitsgebiet günstigere Versicherungsverträge gelten.
EuGH PM Nr. 13 vom 6.2.2020
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