Haftung eines Lohnbuchhalters bei fehlerhafter Behandlung eines GmbH-Geschäftsführers als Selbständiger
LG Stuttgart v. 4.6.2025 - 27 O 280/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Vorwurfs pflichtwidriger Erfüllung eines Steuerberatungsmandats auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin betreibt als GmbH ein Kinocenter. Gegründet wurde die Klägerin im Januar 2012 durch die Eheleute A.D. und B.D. sowie den gemeinsamen Sohn C.D. Noch vor Eintragung der Klägerin im Handelsregister fand am 30.11.2012 ein Gespräch statt, an welchem auf Seiten der Klägerin A.D. und C.D. teilnahmen, ferner ein von den Gesellschaftern der Klägerin beauftragter Unternehmensberater sowie der Geschäftsführer der Beklagten als Steuerberater. Bei diesem Gespräch wurde besprochen, dass der Gesellschafter C.D. als Geschäftsführer sozialversicherungsfrei sein sollte.
Die Klägerin wurde am 8.1.2023 im Handelsregister eingetragen. Geschäftsführer der Klägerin wurden die Gesellschafter A.D. und C.D. Der anderweitig voll berufstätige Geschäftsführer A.D. bezog für seine Geschäftsführertätigkeit eine Vergütung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze und war daher sozialversicherungsfrei. Demgegenüber gab der Geschäftsführer C.D. sein bisheriges Anstellungsverhältnis zugunsten der Geschäftsführertätigkeit auf und bezog fortan ein oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Geschäftsführergehalt. Die Beklagte übernahm nach Gründung der Klägerin die Lohnbuchhaltung. Sie behandelte den Geschäftsführer C.D. in der Folgezeit durchgehend als sozialversicherungsfrei. In einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung Bund für den Zeitraum 1.1.2016 bis 31.12.2019 wurde die Behandlung des Geschäftsführers C.D. als sozialversicherungsfrei beanstandet, weil dieser aufgrund seiner Minderheitsbeteiligung an der Klägerin keinen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben könne. Daraus ergab sich eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen gem. Bescheid vom 27.4.2021 i.H.v. rd. 72.500 €.
Am 22.12.2021 übertrug B.D. ihren Geschäftsanteil von 1/3 an C.D., welcher seither mit 2/3 der Geschäftsanteile an der Klägerin beteiligt ist. Aufgrund einer im Jahr 2024 erfolgten Betriebsprüfung für die Zeiträume 1.1.2020 bis 31.12.2023 setzte die Deutsche Rentenversicherung Bund gegen die Klägerin eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. rd. 42.000 € fest. Zudem stellte sie fest, dass C.D. aufgrund der Eintragung der Geschäftsanteilsübertragung vom 22.12.2021 als Mehrheitsgesellschafter kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung mehr ausübe, sondern eine selbständige Tätigkeit.
Das SG Ulm wies die von der Klägerin erhobene Klage gegen den Nachforderungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 27.4.2021 ab. Daraufhin forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung der Nachforderungen i.H.v. insgesamt rd. 115.000 € auf. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe ihre Verpflichtungen aus dem Lohnbuchhaltungsmandat verletzt. Die Beklagte habe prüfen müssen, ob ein Fall der Befreiung von der Sozialversicherungspflicht vorliege, wenn keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden. Dem Zahlungsverlangen kam die Beklagte nicht nach. Die Klägerin verfolgt den Anspruch nunmehr mit der vorliegenden Klage weiter.
Das LG gab der Klage ganz überwiegend statt.
Die Gründe:
Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem mit der Klägerin bestandenen Lohnbuchhaltungsmandat verletzt, indem sie den Geschäftsführer C. D. als sozialversicherungsfrei behandelt hat. Die Pflichtverletzung der Beklagten ist kausal für den geltend gemachten Beitragsschaden. Der Höhe nach kann die Klägerin in vollem Umfang Ersatz für die Beitragsansprüche der Deutschen Rentenversicherung verlangen.
Die Klägerin muss sich auf ihren Schadensersatzanspruch nicht als Vorteil anrechnen lassen, dass der Geschäftsführer C.D. im Gegenzug für die bestandene Sozialversicherungspflicht Rentenanwartschaften erworben hat. Im rechtlichen Ausgangspunkt erachtet die Kammer allerdings den Einwand der Beklagten als zutreffend, wonach sich die Klägerin schadensmindernd auch Vorteile ihres Geschäftsführers C.D. anrechnen lassen muss. Die von C.D. erworbenen Rentenversicherungsanwartschaften stellen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Vorteil dar, welcher auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen wäre. Die Rentenversicherungsanwartschaften stellen einen künftigen Vorteil dar, welcher nicht hinreichend quantifizierbar ist und daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt außer Betracht bleibt.
Zwar lässt sich der Barwert von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung nach statistischen Methoden abschätzen. Der Versicherte besitzt aber rechtlich nicht die Möglichkeit, den Barwert seiner Anwartschaften in sein Vermögen zu überführen. Solange der Versicherungsfall in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht eingetreten ist, wirken sich erworbene Anwartschaften auf die Liquidität des Versicherten nicht aus. Zahlungen erfolgen nur dann, wenn der Versicherte (oder gegebenenfalls mitversicherte Hinterbliebene) den Versicherungsfall erleben, was naturgemäß ein ungewisses künftiges Ereignis darstellt. Nachdem offen ist, ob der Geschädigte den Versicherungsfall erlebt, bildet ein statistisch errechneter Barwert seiner Versicherungsanwartschaften seinen tatsächlichen Vorteil nicht ab. Solange der Versicherungsfall nicht eingetreten ist, bleiben die Versicherungsanwartschaften schon aus diesem Grund im Rahmen der Vorteilsausgleichung außer Betracht.
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Landesrecht BW
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Vorwurfs pflichtwidriger Erfüllung eines Steuerberatungsmandats auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin betreibt als GmbH ein Kinocenter. Gegründet wurde die Klägerin im Januar 2012 durch die Eheleute A.D. und B.D. sowie den gemeinsamen Sohn C.D. Noch vor Eintragung der Klägerin im Handelsregister fand am 30.11.2012 ein Gespräch statt, an welchem auf Seiten der Klägerin A.D. und C.D. teilnahmen, ferner ein von den Gesellschaftern der Klägerin beauftragter Unternehmensberater sowie der Geschäftsführer der Beklagten als Steuerberater. Bei diesem Gespräch wurde besprochen, dass der Gesellschafter C.D. als Geschäftsführer sozialversicherungsfrei sein sollte.
Die Klägerin wurde am 8.1.2023 im Handelsregister eingetragen. Geschäftsführer der Klägerin wurden die Gesellschafter A.D. und C.D. Der anderweitig voll berufstätige Geschäftsführer A.D. bezog für seine Geschäftsführertätigkeit eine Vergütung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze und war daher sozialversicherungsfrei. Demgegenüber gab der Geschäftsführer C.D. sein bisheriges Anstellungsverhältnis zugunsten der Geschäftsführertätigkeit auf und bezog fortan ein oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Geschäftsführergehalt. Die Beklagte übernahm nach Gründung der Klägerin die Lohnbuchhaltung. Sie behandelte den Geschäftsführer C.D. in der Folgezeit durchgehend als sozialversicherungsfrei. In einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung Bund für den Zeitraum 1.1.2016 bis 31.12.2019 wurde die Behandlung des Geschäftsführers C.D. als sozialversicherungsfrei beanstandet, weil dieser aufgrund seiner Minderheitsbeteiligung an der Klägerin keinen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben könne. Daraus ergab sich eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen gem. Bescheid vom 27.4.2021 i.H.v. rd. 72.500 €.
Am 22.12.2021 übertrug B.D. ihren Geschäftsanteil von 1/3 an C.D., welcher seither mit 2/3 der Geschäftsanteile an der Klägerin beteiligt ist. Aufgrund einer im Jahr 2024 erfolgten Betriebsprüfung für die Zeiträume 1.1.2020 bis 31.12.2023 setzte die Deutsche Rentenversicherung Bund gegen die Klägerin eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. rd. 42.000 € fest. Zudem stellte sie fest, dass C.D. aufgrund der Eintragung der Geschäftsanteilsübertragung vom 22.12.2021 als Mehrheitsgesellschafter kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung mehr ausübe, sondern eine selbständige Tätigkeit.
Das SG Ulm wies die von der Klägerin erhobene Klage gegen den Nachforderungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 27.4.2021 ab. Daraufhin forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung der Nachforderungen i.H.v. insgesamt rd. 115.000 € auf. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe ihre Verpflichtungen aus dem Lohnbuchhaltungsmandat verletzt. Die Beklagte habe prüfen müssen, ob ein Fall der Befreiung von der Sozialversicherungspflicht vorliege, wenn keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden. Dem Zahlungsverlangen kam die Beklagte nicht nach. Die Klägerin verfolgt den Anspruch nunmehr mit der vorliegenden Klage weiter.
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Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem mit der Klägerin bestandenen Lohnbuchhaltungsmandat verletzt, indem sie den Geschäftsführer C. D. als sozialversicherungsfrei behandelt hat. Die Pflichtverletzung der Beklagten ist kausal für den geltend gemachten Beitragsschaden. Der Höhe nach kann die Klägerin in vollem Umfang Ersatz für die Beitragsansprüche der Deutschen Rentenversicherung verlangen.
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Zwar lässt sich der Barwert von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung nach statistischen Methoden abschätzen. Der Versicherte besitzt aber rechtlich nicht die Möglichkeit, den Barwert seiner Anwartschaften in sein Vermögen zu überführen. Solange der Versicherungsfall in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht eingetreten ist, wirken sich erworbene Anwartschaften auf die Liquidität des Versicherten nicht aus. Zahlungen erfolgen nur dann, wenn der Versicherte (oder gegebenenfalls mitversicherte Hinterbliebene) den Versicherungsfall erleben, was naturgemäß ein ungewisses künftiges Ereignis darstellt. Nachdem offen ist, ob der Geschädigte den Versicherungsfall erlebt, bildet ein statistisch errechneter Barwert seiner Versicherungsanwartschaften seinen tatsächlichen Vorteil nicht ab. Solange der Versicherungsfall nicht eingetreten ist, bleiben die Versicherungsanwartschaften schon aus diesem Grund im Rahmen der Vorteilsausgleichung außer Betracht.
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