29.10.2013

Heparinbehandlung ohne Aufklärung: Kein Schadensersatz bei hypothetischer Patienteneinwilligung

Haben sich bei einer Patientin im Verlauf einer therapiebegleitenden Heparinbehandlung schmerzhafte Hämatome gebildet, steht ihr ein Schadensersatzanspruch dann nicht zu, wenn sie der - fehlerfrei durchgeführten - Behandlung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zugestimmt hätte (hypothetische Einwilligung). Der Patient muss in den Fällen, in denen die Ablehnung der Behandlung medizinisch unvernünftig gewesen wäre, plausible Gründe darlegen und das Gericht davon überzeugen, dass er sich in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hatte.

OLG Hamm 2.9.2013, 3 U 54/12
Der Sachverhalt:
Die 57-jährige Klägerin litt an einer Entzündung des peripheren Nervensystems (Plexusneuritis). Während einer stationären Cortisontherapie im Jahr 2007 im beklagten Krankenhaus in Münster erhielt sie Injektionen mit Herparin. Im Verlauf dieser Behandlung bildeten sich bei ihr Hämatome im Bereich der Rektusscheide und im Beckenbereich. Ersteres wurde bei einem Bauchschnitt festgestellt, mit dem zunehmend schmerzhafte Beschwerden der Klägerin abgeklärt werden sollten, letzteres durch ein MRT.

Später machte die Klägerin geltend, die Heparinbehandlung sei nicht indiziert gewesen und außerdem durchgeführt worden, ohne sie ordnungsgemäß aufzuklären. Sie verlangte von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld i.H.v. 30.000 €. Das LG wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin vor dem OLG blieb erfolglos.

Die Gründe:
Die Klägerin hat weder einen Schadenersatz- noch Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte.

Die Tatsache, dass die Klägerin über die mit einer Heparinbehandlung verbundenen Risiken nicht aufgeklärt worden war, begründete im vorliegenden Fall keine Haftung der Beklagten. Es war nämlich davon auszugehen, dass die Klägerin der Heparinbehandlung auch bei Vornahme der gebotenen Aufklärung zugestimmt hätte (hypothetische Einwilligung). Zwar muss der behandelnde Arzt die Voraussetzungen beweisen. Der Patient muss aber in den Fällen, in denen die Ablehnung der Behandlung medizinisch unvernünftig gewesen wäre, plausible Gründe darlegen und das Gericht davon überzeugen, dass er sich in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hatte. Letzteres war der Klägerin nicht gelungen.

Im vorliegenden Fall wäre eine Ablehnung der Heparingabe bei objektiver Betrachtung medizinisch auch unvernünftig gewesen. Denn nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen hatte die Cortisontherapie bei der Klägerin mit einer Herparinbehandlung begleitet werden müssen, um den mit der Cortisongabe verbundenen schwerwiegenden Risiken von Thrombosen und Embolien entgegenzuwirken. Zur Durchführung der Cortisontherapie war die Klägerin stark motiviert gewesen, weil sie infolge der Nervenentzündung unter erheblichen Beschwerden gelitten hatte und drohende bleibende Nervenschäden vermieden werden sollten.

Demgegenüber waren die Risiken der Heparingabe, über die die Klägerin aufzuklären gewesen wäre, vergleichsweise gering gewesen. Diese bestanden lediglich in Verhärtungen, Hämatomen, Verletzung von Hautnerven beim Einstich und einer allergischen Reaktion. Über das Risiko eines Rektusscheidenhämatoms muss regelmäßig nicht aufgeklärt werden, weil es extrem selten ist und in aller Regel folgenlos ausheilt.

Außerdem war bei der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie bereits im Jahr 2006 im Krankenhaus der Beklagten ohne erhebliche Komplikationen mit Heparin behandelt worden war und vor Beginn der Heparinbehandlung im Jahr 2007 dieser Versorgung vertraut hatte, was dafür sprach, dass sie die Behandlung auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung akzeptiert hätte. Ärztliche Fehler bei der Indikation und der Verabreichung des Heparins sowie bei der Behandlung der sich anschließenden Komplikationen der Klägerin hatte der Sachverständige ebenfalls nicht feststellen können.

OLG Hamm PM v. 28.10.2013
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