15.12.2021

Herstellungsanspruch des Ersatzpflichtigen nach Fristsetzung durch den Schadensersatzgläubiger

Hat der Schadensersatzgläubiger dem Ersatzpflichtigen zur Herstellung eine angemessene Frist mit der Erklärung gesetzt, dass er die Herstellung nach Ablauf der Frist ablehne, und ist die Frist fruchtlos abgelaufen, kann der Herstellungsanspruch in der Regel nicht mehr geltend gemacht werden.

BGH v. 23.9.2021 - IX ZR 118/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten noch um Schadensersatz wegen schuldhaft pflichtwidriger Führung eines Rechtsstreits über die Rückforderung eines Grundstücks. Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er beriet und vertrat als Sozius der mit dem Drittwiderbeklagten zu 2) gegründeten Sozietät, der Drittwiderbeklagten zu 3) die beklagten Eheleute in einer Auseinandersetzung mit ihrem Sohn (Vollstreckungsschuldner), dem die Beklagten ihren landwirtschaftlichen Betrieb übergeben hatten. Die Beklagten waren nach dem Hofübergabevertrag berechtigt, den Grundbesitz zurückzufordern, wenn ihr Sohn diesen ohne ihre Zustimmung belastet. Nachdem es zu solchen Belastungen gekommen war, erhob der Kläger im Namen der Beklagten eine auf Verurteilung des Sohnes zur Zustimmung zur Eintragung der Beklagten als Eigentümer gerichtete Klage. Das stattgebende Urteil des Amtsgerichts vom 20.5.2009 wurde durch Zurückweisung der Berufung mit Beschluss des Landgerichts vom 16.11.2009 rechtskräftig. Bereits am 28.10.2009 hatte eine Rechtsanwaltssozietät, die den Sohn der Beklagten vertreten hatte (Streitverkündete), wegen Vergütungsansprüchen eine Zwangssicherungshypothek mit einem Nominalbetrag von rd. 73.000 € an einem der übergebenen Grundstücke (Streitgrundstück) erwirkt.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die Beklagten auf Zahlung ausstehenden Rechtsanwaltshonorars in Anspruch. Die Beklagten stellten seinen Honoraranspruch in Abrede und machten Gegenansprüche teils im Wege der Aufrechnung, teils der Widerklage geltend. Über die Widerklage ist noch nicht rechtskräftig entschieden, soweit die Beklagten den Kläger und die Drittwiderbeklagten auf Schadensersatz wegen der Belastung des Streitgrundstücks mit der Zwangssicherungshypothek in Anspruch nehmen. Sie meinen, die Widerbeklagten hätten prozessbegleitend im Wege einer einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Auflassungsvormerkung erwirken müssen, um damit die Belastung mit einer Zwangssicherungshypothek durch Gläubiger ihres Sohnes zu verhindern. Nachdem die Beklagten vom Kläger und den Drittwiderbeklagten zunächst Freistellung von der Zwangssicherungshypothek verlangten, machten sie nach fruchtloser Setzung einer Ausschlussfrist bis zum 4.5.2012 mit der Erklärung, die Freistellung danach abzulehnen und den zur Freistellung erforderlichen Geldbetrag zu fordern, im Wege der Widerklage schließlich Schadensersatz i.H.v. rd. 83.000 € zzgl. Zinsen geltend.

Das LG wies die Widerklage ab, die dagegen gerichtete Berufung blieb im ersten Berufungsrechtszug erfolglos. Das OLG hatte gemeint, den Beklagten sei jedenfalls kein Schaden entstanden. Gegen das Urteil legten die Beklagten Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ein. Im November 2015 forderte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Streitverkündete unter Hinweis auf die Interventionswirkung des ersten Berufungsurteils auf, der Löschung der Zwangssicherungshypothek zuzustimmen. Die Streitverkündete kündigte an, dem unter der Voraussetzung der Rechtskraft des Urteils des OLG nachzukommen und forderte die Beklagten zunächst zu einem Nachweis hierüber auf. In der Folge übersandte sie dem Beklagtenvertreter eine notarielle Löschungsbewilligung und erklärte hierzu, dies geschehe unter der Voraussetzung der Rechtskraft des ersten Berufungsurteils.

Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das erste Berufungsurteil insbesondere insoweit aufgehoben, als das OLG den mit der Widerklage geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen der Eintragung der Zwangssicherungshypothek aberkannt hatte. Nach Zurückverweisung der Sache erhob das OLG Beweis über den Fortbestand der mit der Zwangssicherungshypothek gesicherten Forderung. Dann wies es die Parteien auf eine mögliche Entscheidungsreife im Fall der Umstellung der Widerklage auf einen Freistellungsantrag hin. Daraufhin änderte der Vertreter der Beklagten den Antrag und beantragte die gesamtschuldnerische Verurteilung der Widerbeklagten zur Freistellung von der dinglichen Belastung der Zwangssicherungshypothek. Das OLG verurteilte die Widerbeklagten entsprechend.

Auf die Revision des Klägers und der Drittwiderbeklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Widerbeklagten haben ihre anwaltlichen Pflichten gegenüber den Beklagten verletzt, indem sie ihnen nicht geraten haben, ihren Rückauflassungsanspruch durch eine im Wege der einstweiligen Verfügung zu erwirkende Vormerkung zu sichern. Der Annahme eines Schadens infolge der Belastung des Streitgrundstücks mit der Zwangshypothek steht weder das obsiegende Urteil im Rechtsstreit über die Berichtigung des Grundbuchs entgegen noch der Umstand, dass die Beklagten das Mandatsverhältnis zu den Widerbeklagten noch vor der Eintragung der Zwangshypothek für die Streitverkündete gekündigt und andere Rechtsanwälte mit ihrer Vertretung beauftragt haben.

Hingegen können die Beklagten den auf Befreiung von der Haftung aus der Zwangshypothek gerichteten Herstellungsanspruch des § 249 Abs. 1 BGB nicht mehr geltend machen. Sie sind zwar in prozessual wirksamer Weise von dem zuvor eingeklagten Geldersatzanspruch im Wege einer vom OLG jedenfalls für sachdienlich erachteten Klageänderung (§ 533 ZPO), an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 268 ZPO), zum Freistellungsanspruch übergegangen. Der auf Befreiung von der Haftung aus der Zwangshypothek gerichtete Herstellungsanspruch des § 249 Abs. 1 BGB steht den Beklagten indes nicht mehr zu. Dieser Anspruch ist nach § 250 Satz 2 BGB in einen Geldersatzanspruch übergegangen, nachdem die Beklagten den Kläger und die Drittwiderbeklagten unter Setzung einer Frist erfolglos zur Herstellung hier Haftungsfreistellung aufgefordert und erklärt haben, nach Fristablauf die Freistellung abzulehnen und den zur Freistellung erforderlichen Geldbetrag zu fordern. Nach fruchtlosem Ablauf der mit Ablehnungsandrohung gesetzten Frist kann der Gläubiger nur noch Ersatz in Geld verlangen; der Anspruch auf die Herstellung ist nach § 250 Satz 2 Halbsatz 2 BGB ausgeschlossen. Dies entspricht dem allgemein geteilten Verständnis der Vorschrift.

In dem Zweck des § 250 BGB findet das dementgegen vom OLG befürwortete Recht des Gläubigers, von dem durch die Fristsetzung und Ablehnungsandrohung begründeten Zahlungsanspruch wieder zur Geltendmachung des auf Herstellung im Wege der Freistellung gerichteten Anspruchs zurückzugehen, keine Rechtfertigung. Die Vorschrift soll dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnen, den Anspruch auf Naturalrestitution, sofern dieser nicht bereits nach § 249 Abs. 1 BGB auf eine Geldzahlung gerichtet ist oder § 249 Abs. 2 Satz 1, § 251 BGB dazu führen, in einen Geldersatzanspruch umzuwandeln (Erman/Ebert, BGB, 16. Aufl., § 250, Rn. 1). Eine Befugnis, von dem nach § 250 BGB begründeten Ersatzanspruch abzugehen, um erneut Herstellung nach § 249 Abs. 1 BGB zu verlangen, erfordert der Gesetzeszweck nicht.

Eine solche Befugnis des Gläubigers bedeutete das Fehlen einer Bindung an den begründeten Ersatzanspruch und käme damit einem ius variandi gleich. Dies stünde im Widerspruch zu der für die Begründung des Geldersatzanspruchs nach § 250 BGB erforderlichen Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung. Letztere ist eine einseitige empfangsbedürftige, somit jedenfalls nach ihrem Zugang unwiderrufliche Willenserklärung des Inhalts, dass die Herstellung nach Fristablauf endgültig ausgeschlossen sein solle und der Gläubiger auf einer Geldleistung bestehen werde. Hierüber darf die Ablehnungsandrohung keine Ungewissheit belassen. Für die Ablehnungsandrohung genügt es insbesondere nicht, dass der Gläubiger sich die Entscheidung über die spätere Annahme der Herstellung nur vorbehält.

Erklärt der Gläubiger sich jedoch klar und eindeutig, wäre es widersprüchlich, könnte er dessen ungeachtet nach fruchtlosem Fristablauf nach seinem Belieben an der Naturalherstellung nach § 249 Abs. 1 BGB festhalten. Das Schicksal des Inhalts der Schadensersatzpflicht könnte eine Fristsetzung mit unverbindlicher Ablehnungsandrohung nicht in dem von der Norm vorausgesetzten Sinne klären. Auf die Rechtsunsicherheit, die mit einer Befugnis des Gläubigers verbunden wäre, den Herstellungsanspruch aufgrund einseitiger Erklärung wieder aufleben zu lassen, weist die Revision zu Recht hin. Aufgeworfen wäre auch die Frage, ob der Gläubiger hernach nicht abermals zum Geldersatz übergehen könnte. Das in der Konsequenz liegende Hin- und Herwechseln zwischen Herstellungs- und Geldersatzanspruch wäre mit dem Interesse des Schuldners, im Vertrauen auf die Erklärung nach § 250 BGB Dispositionen für eine Art der Schadensersatzleistung treffen zu können, unvereinbar.

Mehr zum Thema:
  • Aufsatz: Fiktiver Schadensersatz im Werkvertrags-, Kaufvertrags- und Deliktsrecht (Schwenker, MDR 2021, 1037)
  • Aufsatz: Das wiederholte Märchen des VII. Zivilsenats des BGH von den "Besonderheiten des Werkvertragsrechts" (Seibel, MDR 2021, 78)
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