25.08.2023

Kein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag bei Annahme eines am Vortag unterbreiteten Angebots

Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen i.S.d. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB liegt nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt.

BGH v. 6.7.2023 - VII ZR 151/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten - soweit für die Revision noch von Interesse - über die Wirksamkeit eines von den Klägern erklärten Widerrufs einer auf den Abschluss eines Werkvertrags gerichteten Willenserklärung.

Die Kläger sind Eigentümer eines Reihenhauses, der Beklagte führt einen Dachdeckerbetrieb. Mit einem ersten Auftrag beauftragten die Kläger den Beklagten im Sommer 2018 mit der Erneuerung von Dachrinnen und mit Abdichtungsarbeiten im Eingangsbereich ihres Reihenhauses. Während der Ausführung der Arbeiten am 22. und 23.8.2018 bemerkte ein Mitarbeiter des Beklagten, dass der Wandanschluss des Daches defekt war, und teilte dies dem Kläger mit. Nachdem der Beklagte dem Kläger die ungefähre Größenordnung der für diese Arbeiten anfallenden Vergütung sowie die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mitgeteilt hatte, beauftragte der Kläger den Beklagten auch mit diesen Arbeiten ("Wakaflex"), die anschließend ausgeführt wurden. Die Ausführung der Arbeiten zu einem späteren Zeitpunkt wäre mit Mehrkosten für die Kläger verbunden gewesen, weil dies die erneute Aufstellung eines Gerüsts erfordert hätte. Die Arbeiten wurden vom Beklagten mangelfrei erbracht. Der für beide Aufträge vom Beklagten in Rechnung gestellte Betrag, davon rd. 1.200 € brutto für den Auftrag "Wakaflex", wurde von den Klägern vollständig bezahlt.

Mit Schreiben vom 5.9.2019, welches an diesem Tag um 19:35 Uhr in den Briefkasten des Beklagten eingelegt wurde, widerriefen die Kläger beide Aufträge. Bei einem anschließenden zufälligen Treffen überreichte der Kläger dem Beklagten einen Flyer, der mit "Der Handwerker-Widerruf - Schützen Sie sich vor unseriösen Handwerkern" überschrieben war, und erklärte, dass er daraus ein neues Geschäftsmodell entwickelt habe. Die Kläger sind der Auffassung, ihnen stünde hinsichtlich des ersten Auftrags einschließlich des Zusatzauftrags "Wakaflex" ein Widerrufsrecht wegen eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages zu. Mit der Klage nehmen sie den Beklagten auf Rückzahlung der für beide Aufträge entrichteten Vergütung in Anspruch.

Das AG wies die Klage ab; die Ausübung des Widerrufsrechts durch die Kläger sei rechtsmissbräuchlich gewesen. Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte den Beklagten zur Rückzahlung der für den Zusatzauftrag "Wakaflex" gezahlten Vergütung i.H.v. rd. 1.200 €. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das LG hat unter Verstoß gegen § 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG einen Sachverhalt als unstreitig zugrunde gelegt, der im Widerspruch zu diesem als streitig erkannten Vortrag des Beklagten steht, ohne den vom Beklagten angebotenen Beweis zu erheben. Es hat in den Entscheidungsgründen im Widerspruch zu dem bezeichneten Vorbringen des Beklagten festgestellt, es sei unstreitig, dass der Zusatzauftrag nach Erläuterung der Kostenhöhe und des Zeitaufwands vor Ort bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit von Kläger und Beklagtem erteilt worden sei. Daraus geht hervor, dass das LG die Behauptung des Beklagten nicht hinreichend berücksichtigt hat, dem Kläger sei bereits am Vortag vor dem abschließenden Ortstermin am 23.8.2018 ein Angebot über die Ausführung der Zusatzarbeiten unterbreitet worden, das der Kläger im Ortstermin vom 23.8.2018 lediglich angenommen hat.

Der Verfahrensfehler ist erheblich. Ist zugunsten des Beklagten davon auszugehen, dass der Kläger das vom Beklagten bereits am 22.8.2018 unterbreitete Angebot für den Zusatzauftrag "Wakaflex" am 23.8.2018 lediglich angenommen hat, liegt kein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag i.S.d. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 BGB vor. Nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge solche, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB genügt es, wenn der Verbraucher unter den in Nr. 1 genannten Umständen ein Angebot für den Abschluss eines Vertrags abgegeben hat.

Die Kläger sind zwar gem. § 13 BGB als Verbraucher anzusehen, weil sie als natürliche Personen das Rechtsgeschäft nicht zu Zwecken abgeschlossen haben, die überwiegend ihrer gewerblichen oder ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Der Vertrag ist vor Ort aber nicht, wie nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB erforderlich, bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien geschlossen worden. Hierfür ist erforderlich, dass sowohl das Angebot als auch die Annahme bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragspartner erklärt werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger hat nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Vorbringen des Beklagten für beide Kläger in dem Termin vor Ort in Anwesenheit des Beklagten lediglich dessen am Tag zuvor abgegebenes Angebot für die Reparatur des beschädigten Wandanschlusses angenommen.

Eine gegenüber dem Angebot des Unternehmers derart zeitlich versetzte Auftragserteilung wird von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB nicht erfasst. Diese Vorschrift, mit der die Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechterichtlinie) ins deutsche Recht umgesetzt wird und die mit der Bestimmung in Art. 2 Nr. 8 a) der Verbraucherrechterichtlinie inhaltlich übereinstimmt, ist richtlinienkonform im Lichte dieser Richtlinie auszulegen, wobei bei der Auslegung zu beachten ist, dass nach Art. 4 der Richtlinie eine Vollharmonisierung der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Vorschriften angestrebt wird. Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen liegt danach nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt. Für diese - schon nach dem Wortlaut naheliegende - Auslegung von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB spricht auch der mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgte Zweck.

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Koch in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023
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Rechtsprechung:
Widerrufsrecht des Verbrauchers bei einem außerhalb von Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossenen Vertrag über den Einbau einer Heizungsanlage; Rückgewährverpflichtung nach wirksamem Widerruf
OLG Celle vom 12.01.2022 - 14 U 111/21

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