30.05.2023

Kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kindes nach Anfechtung der Vaterschaft

Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG fordert eine gesetzliche Grundlage, die den Verlust der Staatsangehörigkeit ausdrücklich anordnet. An einer solchen gesetzlichen Grundlage fehlt es, wenn die ausländische Mutter des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, das Familiengericht später jedoch feststellt, dass Vater des Kindes nicht der geschiedene Ehemann ist, sondern ein ausländischer Staatsangehöriger.

Niedersächsisches OVG v. 25.5.2023 - 13 LC 287/22
Der Sachverhalt:
Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin im Jahr 2019 war ihre ausländische Mutter mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Nach Scheidung der Ehe stellte das Familiengericht im Jahr 2020 auf Antrag der Mutter und der Klägerin fest, dass ihr Vater nicht der geschiedene Ehemann ist, sondern ein ausländischer Staatsangehöriger. Die von der Klägerin beantragte Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit lehnte die beklagte Hansestadt Lüneburg im Sommer 2021 mit der Begründung ab, die Klägerin habe die mit ihrer Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit durch die vor dem Familiengericht erfolgte Vaterschaftsanfechtung rückwirkend verloren.

Das VG gab der hiergegen gerichteten Klage statt und verpflichtete die Beklagte, festzustellen, dass die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit innehat. Die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft bleibe ohne Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit der Klägerin, da eine gesetzliche Regelung, die in diesem Fall den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit anordne, nicht existiere. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem OVG keinen Erfolg. Die Revision zum BVerwG wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG fordert eine gesetzliche Grundlage, die den Verlust der Staatsangehörigkeit ausdrücklich anordnet. An einer solchen gesetzlichen Grundlage fehlt es in der vorliegenden Konstellation.

Die einschlägige zivilrechtliche Norm des § 1599 Abs. 1 BGB legt lediglich die familienrechtlichen Folgen der Vaterschaftsanfechtung fest. Die staatsangehörigkeitsrechtliche Norm des § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG (Staatsangehörigkeitsgesetz) regelt den Erwerb, nicht aber den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit.

Der Gesetzgeber ist zwar davon ausgegangen, dass diese Regelungen nach allgemeiner hergebrachter Rechtsüberzeugung an zwei ungeschriebene Annahmen anknüpfen. Danach wirkt erstens die Anfechtung der Vaterschaft auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zurück, das heißt, bei erfolgreicher Anfechtung entfällt die Vaterschaft rückwirkend. Zweitens folgen die staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften; die Staatsangehörigkeit entfällt demnach bei erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung.

Der Gesetzgeber hat den hiermit verbundenen Verlust der Staatsangehörigkeit aber selbst nicht ausdrücklich angeordnet. Eine solche Anordnung ergibt sich auch nicht aus § 17 StAG. Dessen Absatz 1 listet zwar verschiedene Verlustgründe auf, nennt die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung jedoch nicht. Auch Absatz 2 und Absatz 3 Satz 1 Variante 3 der Vorschrift bestimmen nur die Folgen eines in einem anderen Gesetz vorgesehenen Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit, ordnen diesen Verlust selbst jedoch nicht an.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Europäische Impulse für eine Reform des Abstammungsrechts
Alix Schulz / Dana-Sophia Valentiner, FamRZ 2023, 662

Kurzbeitrag:
BGH: Geburtsname nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Vaterschaftsanerkennung seitens des deutschen Kindsvaters
FamRB 2023, R6
FAMRB0055261

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Niedersächsisches OVG PM vom 25.5.2023
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