28.04.2020

Maßgeblicher Zeitpunkt für die fiktive Schadensberechnung nach Verkehrsunfall

Bei der fiktiven Schadensberechnung ist für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs materiell-rechtlich der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung, verfahrensrechtlich regelmäßig der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich. Vorher eintretende Preissteigerungen für die günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt, auf die der Schädiger den Geschädigten gemäß § 254 Abs. 2 BGB verweisen darf, gehen daher in der Regel zu Lasten des Schädigers.

BGH v. 18.2.2020 - VI ZR 115/19
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall im Dezember 2016 in Anspruch. Auf der Grundlage eines noch im Dezember 2016 eingeholten Privatgutachtens verlangte die Klägerin fiktive Reparaturkosten in Höhe von 5.000 €, auf die die Beklagte im Januar 2017 3.500 € zahlte.

Mit der Klage hat die Klägerin den Differenzbetrag von 1.500 € geltend gemacht. Das AG hat ihr 200 € zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LG unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen ferner Ersatz iHv 90 € zuerkannt.

Streitig war hier insbesondere die Frage, ob zwischenzeitlich erfolgte Preiserhöungen der nicht markengebundenen Fachwerkstatt B bei der Berechnung des Schadensersatzanspruchs auf Basis fiktiver Reparaturkosten zu Lasten der Versicherung zu berücksichtigen sind, was das LG verneint hatte.

Mit der vom LG zugelassenen Revision begehrte die Klägerin über die von den Instanzgerichten zugesprochenen Beträge hinaus weitere 900 €. Der BGH gab der Klägerin Recht.

Die Gründe:
Vorliegend ist für die Bemessung des Ersatzanspruchs der Klägerin nicht der Zeitpunkt des Unfalls (oder der Verweisung auf die Werkstatt B.) maßgeblich, sondern der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung. Die zwischenzeitlich erfolgte Erhöhung der Preise in der Verweisungswerkstatt ist daher in die Schadensbemessung einzubeziehen.

Der materiell-rechtlich maßgebliche Zeitpunkt für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs in Geld ist der Zeitpunkt, in dem dem Geschädigten das volle wirtschaftliche Äquivalent für das beschädigte Recht zufließt, also der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung. Verfahrensrechtlich ist, wenn noch nicht vollständig erfüllt ist, der prozessual letztmögliche Beurteilungszeitpunkt, regelmäßig also der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, maßgeblich. Diese Grundsätze dienen in erster Linie dem Schutz des Gläubigers gegen eine verzögerte Ersatzleistung des Schuldners. Zusätzliche Schäden und eine Verteuerung der Wiederherstellungskosten vor vollständiger Erfüllung, etwa durch Preissteigerungen, gehen deshalb idR zu dessen Lasten.

Die genannten Grundsätze finden auch auf die Abrechnung fiktiver Reparatur- und Wiederbeschaffungskosten Anwendung, während im Fall der konkreten Schadensabrechnung auf die Umstände desjenigen Zeitpunkts abzustellen ist, in dem der Zustand im Sinne von § 249 BGB hergestellt worden ist.

Die Beklagte hat hier den Ersatzanspruch der Klägerin, der sich wegen der wirksamen Verweisung nach den günstigeren Preisen der Werkstatt B. richtet, nicht vollständig erfüllt, weil sie - bei Zugrundelegung der von der Beklagten nicht angegriffenen Verurteilungen der Vorinstanzen - unberechtigte Abzüge bei den Lackierungskosten und den UPE-Aufschlägen vorgenommen hat.

Zwischenzeitliche Preiserhöhungen in der Verweisungswerkstatt gehen daher zu Lasten der Beklagten. Soweit das LG die Klage abgewiesen und die Klägerin dies mit der Revision angegriffen hat, war das Urteil somit aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückzuverweisen.
BGH online
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