21.01.2025

Ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten hat mündlich zu erfolgen

Die wirksame Einwilligung des Patienten setzt dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus (§ 630d Abs. 2 BGB). Es genügt dabei, den Patienten "im Großen und Ganzen" über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Die Aufklärung hat mündlich zu erfolgen. Lediglich ergänzend, das heißt zur Wiederholung des Gesagten, zur bildlichen Darstellung und zur Verbesserung des Verständnisses des mündlich Erläuterten und zur Vermittlung vertiefender Informationen, die hilfreich, für das Verständnis der Risiken aber nicht unbedingt notwendig sind, kann auf Informationen in Textform Bezug genommen werden.

BGH v. 5.11.2024 - VI ZR 188/23
Der Sachverhalt:
Der Beklagte betreibt eine (unfall)chirurgische Arztpraxis. Der Kläger war erstmals im Jahr 2006 wegen einer Sprunggelenksdistorsion rechts bei ihm in Behandlung. Anfang 2015 stellte er sich aufgrund sich verstärkender Schmerzen im rechten Sprunggelenk erneut beim Beklagten vor. Die Untersuchung erbrachte die Diagnose einer Arthrose mit multiplen freien Gelenkkörpern als Ursache der Beschwerden. Zunächst wurde ein konservatives Vorgehen mit Bewegungsübungen und Belastungsreduktion empfohlen. Nachdem die Beschwerden nicht nachließen, stellte sich der Kläger am 1.6.2016 erneut beim Beklagten vor, dieser stellte die Indikation für eine Arthroskopie am rechten Sprunggelenk zur Entfernung der freien Gelenkkörper. Ein Operationstermin wurde für den 9.8.2016 vereinbart. Es liegt ein Aufklärungsbogen zur arthroskopischen Untersuchung und Behandlung/Operation des Sprunggelenks vor, den der Kläger und der Beklagte mit dem Datum 1.6.2016 unterzeichnet haben.

Bei dem ambulant durchgeführten arthroskopischen Eingriff wurden 14 freie Gelenkkörper im vorderen Recessus entnommen. Im Anschluss veranlasste der Beklagte ein CT, um die Anzahl der verbliebenen Gelenkkörper zu lokalisieren und es wurde die Indikation zu deren Entfernung gestellt. Bei der entsprechenden Operation (ventrale und dorsale Arthrotomie) am 16.9.2016 in einer Klinik wurden 17 weitere freie Gelenkkörper im oberen Sprunggelenk entfernt. Am 19.8.2016, schon vor der zweiten Operation, klagte der Kläger über Missempfindungen bei Berührungen des Fußrückens, in der Folge nahmen die Schmerzen im rechten Fuß zu. Die neurologische Abklärung im Februar 2017 ergab ein Neurom im Bereich des Fußrückens an der Einstichstelle des Arthroskops sowie eine Hyperalgesie im Bereich des Innervationsgebietes des Nervus peroneus superficialis. Es erfolgten die Entfernung des Neuroms sowie die Dekompression und Neurolyse des lädierten Nervus peroneus. Es wurde festgestellt, dass es im Rahmen der Arthroskopie am 9.8.2016 intraoperativ zu einer Nervenschädigung gekommen war.

Der Kläger begehrt von dem Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz. Er macht geltend, er sei nicht über die Behandlungsalternativen sowie das Risiko der Arthroskopie, insbesondere nicht über das Risiko der Nervenschädigung, aufgeklärt worden. Auch habe der Beklagte ihn fehlerhaft nicht darauf hingewiesen, dass die Operation nur relative Erfolgschancen biete und möglicherweise nicht alle Gelenkkörper entfernt werden könnten. Er sei infolge der Operation erwerbslos, zu 60 % schwerbehindert und dauerhaft erwerbsunfähig. Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat den Einwand der hypothetischen Einwilligung erhoben.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht verneint werden. Mit Recht rügt die Revision, dass das OLG eine ausreichende Aufklärung des Klägers über das Risiko einer Nervenschädigung vor dem ambulanten ärztlichen Eingriff vom 9.8.2016 und die Wirksamkeit der vom Kläger erteilten Einwilligung angenommen hat und auf dieser Grundlage von der Rechtmäßigkeit des operativen Eingriffs ausgegangen ist.

Der Gesetzgeber hat die Aufklärung des Patienten in § 630e BGB geregelt. Damit sind die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Selbstbestimmungsaufklärung kodifiziert worden. Diese Grundsätze gelten inhaltlich unverändert fort. Die wirksame Einwilligung des Patienten setzt dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus (§ 630d Abs. 2 BGB). Dabei müssen die in Betracht kommenden Risiken nicht exakt medizinisch beschrieben werden. Es genügt vielmehr, den Patienten "im Großen und Ganzen" über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Dabei ist über schwerwiegende Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet.

Zu den Modalitäten der Aufklärung bestimmt § 630e Abs. 2 BGB, dass die Aufklärung mündlich zu erfolgen hat und ergänzend auf Unterlagen Bezug genommen werden kann, die der Patient in Textform erhält. Dem Patienten soll die Möglichkeit eröffnet werden, in einem persönlichen Gespräch mit dem Behandelnden ggf. auch Rückfragen zu stellen, so dass die Aufklärung nicht auf einen lediglich formalen Merkposten innerhalb eines Aufklärungsbogens reduziert wird. Es bedarf zum Zwecke der Aufklärung grundsätzlich des vertrauensvollen Gesprächs zwischen Arzt und Patienten. Das schließt die ergänzende Verwendung von Merkblättern nicht aus, in denen die notwendigen Informationen zu dem Eingriff einschließlich seiner Risiken schriftlich festgehalten sind. Ein Rückzug des Arztes auf Formulare und Merkblätter, die er vom Patienten hat unterzeichnen lassen, kann aber nicht ausreichen und könnte zudem zu Wesen und Sinn der Patientenaufklärung geradezu in Widerspruch geraten. Der Arzt muss sich in dem Aufklärungsgespräch davon überzeugen, dass der Patient mündliche wie schriftliche Hinweise und Informationen verstanden hat, und ggf. auf individuelle Belange des Patienten eingehen und eventuelle Fragen beantworten.

Es begegnet daher durchgreifenden Bedenken, wenn das OLG meint, es könne offenbleiben, ob in den mündlichen Gesprächen der Parteien das Risiko einer Nervenschädigung ausdrücklich erwähnt worden ist, weil wegen der angemessenen Kombination zwischen Aufklärungsbogen und persönlichem Gespräch nicht der gesamte Inhalt des Aufklärungsbogens im mündlichen Gespräch wiederholt werden müsse. Zugunsten der Revision ist zu unterstellen, dass das vom OLG als aufklärungspflichtig erachtete Risiko einer Schädigung des Nervus peroneus im Aufklärungsgespräch nicht genannt worden ist. Dennoch wegen des Inhalts des unterzeichneten Aufklärungsbogens eine ausreichende Selbstbestimmungsaufklärung anzunehmen, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet zwar die von den sachverständigen Erläuterungen getragene Beurteilung des OLG, dass die Informationen hinsichtlich des Risikos von Nervenschäden, wie sie in dem schriftlichen Aufklärungsbogen enthalten sind (u.a. Gefühlsstörungen, Schmerzen, Funktionseinschränkungen bis hin zu Lähmungen), in inhaltlicher Hinsicht den an die Aufklärung zu stellenden Anforderungen genügten.

Doch hätten das Risiko einer Nervenschädigung und ihre Auswirkungen im Aufklärungsgespräch vom aufklärenden Arzt ausdrücklich benannt werden müssen, selbst wenn dem Kläger zuvor der Aufklärungsbogen zum Selbststudium überlassen worden sein sollte. Die mündlich gebotene Vermittlung der Chancen und Risiken der Behandlung "im Großen und Ganzen" und damit einer allgemeinen Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren verlangt, dass diese Gefahren auch im Gespräch genannt werden. Lediglich ergänzend, das heißt zur Wiederholung des Gesagten (als Gedächtnisstütze), zur bildlichen Darstellung und zur Verbesserung des Verständnisses des mündlich Erläuterten und zur Vermittlung vertiefender Informationen, die hilfreich, für das Verständnis der Risiken aber nicht unbedingt notwendig sind, kann (muss aber nicht) auf Informationen in Textform Bezug genommen werden. Entgegen der Vorstellung des OLG entsteht das Gesamtbild der gebotenen Aufklärung nicht durch eine Zusammenfügung eines mündlichen und schriftlichen Teils, sondern es muss jedenfalls der für die selbstbestimmte Entscheidung notwendige Inhalt mündlich mitgeteilt werden.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 630d Einwilligung
Rehborn/Gescher in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Kommentierung | BGB
§ 630e Aufklärungspflichten
Rehborn/Gescher in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Aktionsmodul Zivilrecht
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. Recherchieren Sie hier mit den führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Topaktuelle Werke: Zöller ZPO mit Online-Aktualisierungen zur Videokonferenztechnik, weitere Digitalisierung, KapMuG. Vorwerk Das Prozessformularbuch, Erman BGB uvm. Inklusive LAWLIFT Dokumentautomation Zivilprozessrecht und Beiträge zum Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online