Reiserecht: Bei erkennbar beschädigtem Koffer muss der Inhalt sofort kontrolliert werden
LG Saarbrücken v. 12.12.2024, 13 S 70/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im Sommer 2023 mit seiner Familie mit einem Flugzeug der Beklagten in den Urlaub geflogen. Bei Ankunft in Saarbrücken meldete der Kläger das Fehlen seines Koffers am Schalter der Beklagten. Am 31.8.2023 wurde der Koffer am Wohnsitz des Klägers angeliefert. Am 7.9.2023 reklamierte die Ehefrau des Klägers auf der Internetseite der Beklagten Schäden an dem Koffer sowie fehlende Gegenstände aus seinem Inhalt.
Der Kläger behauptete, der Koffer sei vor dem Flug unbeschädigt gewesen. Bei Aushändigung durch die Beklagte sei der Teil des Reißverschlusses, der nach der Art des am Koffer befindlichen Verschlusses in ein Schloss eingeklinkt werden sollte, abgeknickt bzw. abgebrochen gewesen. Vom Inhalt des Koffers hätten u.a ein Föhn im Wert von 489 € sowie zwei Ringe im Wert von 119 € und 129 € gefehlt. Insgesamt wären Gegenstände im Wert von 1.391 € verschwunden. Die Beklagte war der Ansicht, der Kläger habe die Schäden nicht rechtzeitig gemeldet.
Das AG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem LG blieb erfolglos.
Die Gründe:
Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch aus Art. 17 Abs. 2 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) zu. Bei dieser Norm handelt es sich zwar um eine selbstständige Anspruchsgrundlage. Obwohl die verlorenen Gegenstände teilweise im Eigentum der Ehefrau bzw. der Tochter des Klägers gestanden haben, weshalb diesen insoweit grundsätzlich ein eigener Anspruch zusteht, kann der Kläger als Reisender diese Schadenspositionen nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation auch selbst geltend machen.
Allerdings war der Anspruch des Klägers gem. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 MÜ verfristet. Im Fall einer Beschädigung muss der Empfänger unverzüglich nach Entdeckung des Schadens, bei aufgegebenem Reisegepäck jedenfalls binnen sieben Tagen nach der Annahme, dem Luftfrachtführer Anzeige erstatten. Bei der Frist aus Art. 31 Abs. 2 Satz 1 MÜ handelt es sich um eine kenntnisunabhängige Höchstfrist, die auch (zunächst) verdeckte Schäden erfasst. Die Frist kann nicht stets ausgeschöpft werden. Vielmehr muss die Schadensfeststellung innerhalb der Mindestfrist erfolgen, die notwendig ist, um den Schadensfall zu prüfen und eine inhaltlich und formell ausreichende Schadensanzeige an den Luftfrachtführer zu übermitteln.
Bei einem erkennbar äußerlich beschädigten Koffer muss der Inhalt jedoch grundsätzlich direkt kontrolliert werden. Im vorliegenden Fall war Koffer erkennbar äußerlich beschädigt. Demnach wäre es erforderlich gewesen, direkt den Inhalt des Koffers zu überprüfen, um festzustellen, ob der Inhalt vollständig ist. Der Kläger konnte sich nicht damit entlasten, dass er berufstätig ist bzw. sich erst mit den Formalitäten einer Schadensmeldung habe vertraut machen müssen. Durch solche Umstände lässt sich allenfalls eine Verzögerung von drei Tagen erklären. Es war weder vorgetragen noch ersichtlich, warum sich der Kläger nicht schon am folgenden Wochenende darum kümmern konnte.
Der der Reisende verliert sein Klagerecht zwar ausnahmsweise dann nicht, wenn der Luftfrachtführer nachweislich arglistig gehandelt hat. Dies erfordert jedoch ein vorsätzliches Handeln, das darauf gerichtet ist, den an sich Berechtigten daran zu hindern, fristgerecht eine ordnungsgemäße Anzeige zu erstatten. Dies war vorliegend aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Unerheblich war, ob durch die Anzeige der Ehefrau des Klägers die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 MÜ erfüllt wurden. Denn es ist prinzipiell Sache des Reisenden, die Schadensanzeige abzugeben. Hierfür kann er zwar einen Dritten beauftragen. Vorliegend hatte die Ehefrau jedoch gegenüber der Beklagten bei Abgabe der Schadensanzeige nicht offengelegt, dass sie Ansprüche des Klägers geltend machte und insoweit von diesem beauftragt worden war.
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Der Kläger war im Sommer 2023 mit seiner Familie mit einem Flugzeug der Beklagten in den Urlaub geflogen. Bei Ankunft in Saarbrücken meldete der Kläger das Fehlen seines Koffers am Schalter der Beklagten. Am 31.8.2023 wurde der Koffer am Wohnsitz des Klägers angeliefert. Am 7.9.2023 reklamierte die Ehefrau des Klägers auf der Internetseite der Beklagten Schäden an dem Koffer sowie fehlende Gegenstände aus seinem Inhalt.
Der Kläger behauptete, der Koffer sei vor dem Flug unbeschädigt gewesen. Bei Aushändigung durch die Beklagte sei der Teil des Reißverschlusses, der nach der Art des am Koffer befindlichen Verschlusses in ein Schloss eingeklinkt werden sollte, abgeknickt bzw. abgebrochen gewesen. Vom Inhalt des Koffers hätten u.a ein Föhn im Wert von 489 € sowie zwei Ringe im Wert von 119 € und 129 € gefehlt. Insgesamt wären Gegenstände im Wert von 1.391 € verschwunden. Die Beklagte war der Ansicht, der Kläger habe die Schäden nicht rechtzeitig gemeldet.
Das AG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem LG blieb erfolglos.
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Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch aus Art. 17 Abs. 2 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) zu. Bei dieser Norm handelt es sich zwar um eine selbstständige Anspruchsgrundlage. Obwohl die verlorenen Gegenstände teilweise im Eigentum der Ehefrau bzw. der Tochter des Klägers gestanden haben, weshalb diesen insoweit grundsätzlich ein eigener Anspruch zusteht, kann der Kläger als Reisender diese Schadenspositionen nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation auch selbst geltend machen.
Allerdings war der Anspruch des Klägers gem. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 MÜ verfristet. Im Fall einer Beschädigung muss der Empfänger unverzüglich nach Entdeckung des Schadens, bei aufgegebenem Reisegepäck jedenfalls binnen sieben Tagen nach der Annahme, dem Luftfrachtführer Anzeige erstatten. Bei der Frist aus Art. 31 Abs. 2 Satz 1 MÜ handelt es sich um eine kenntnisunabhängige Höchstfrist, die auch (zunächst) verdeckte Schäden erfasst. Die Frist kann nicht stets ausgeschöpft werden. Vielmehr muss die Schadensfeststellung innerhalb der Mindestfrist erfolgen, die notwendig ist, um den Schadensfall zu prüfen und eine inhaltlich und formell ausreichende Schadensanzeige an den Luftfrachtführer zu übermitteln.
Bei einem erkennbar äußerlich beschädigten Koffer muss der Inhalt jedoch grundsätzlich direkt kontrolliert werden. Im vorliegenden Fall war Koffer erkennbar äußerlich beschädigt. Demnach wäre es erforderlich gewesen, direkt den Inhalt des Koffers zu überprüfen, um festzustellen, ob der Inhalt vollständig ist. Der Kläger konnte sich nicht damit entlasten, dass er berufstätig ist bzw. sich erst mit den Formalitäten einer Schadensmeldung habe vertraut machen müssen. Durch solche Umstände lässt sich allenfalls eine Verzögerung von drei Tagen erklären. Es war weder vorgetragen noch ersichtlich, warum sich der Kläger nicht schon am folgenden Wochenende darum kümmern konnte.
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