14.03.2023

Reiserecht: Blitzeinschlag stellt außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 dar

Einem Vogel- oder Blitzschlag kommt keine Unterstützungsfunktion zur Bewältigung des Flugverkehrs zu. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um ein von außen wirkendes (Natur-) Ereignis und damit um einen außergewöhnlichen Umstand.

LG Frankfurt a.M. v. 23.2.2023 - 2-24 S 14/22
Der Sachverhalt:
Streitgegenständlich ist ein Flug von Düsseldorf nach Varna. Der geplante Abflug von Düsseldorf war am 3.6.2019 um 9:30 Uhr Ortszeit. Er sollte in Varna um 13:20 Uhr Ortszeit ankommen. Der tatsächliche Abflug von Düsseldorf verspätete sich, weshalb die Fluggäste Varna erst um 22:10 Uhr Ortszeit, mit einer Verspätung von 8 Stunden und 50 Minuten, erreichten. Grund für die Verspätung war ein Blitzeinschlag am vorgesehenen Flugzeug.

Die Klägerin machte gegen die Beklagte Ansprüche aus abgetretenem Recht auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 VO EG Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) geltend. Sie hat erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem AG einen Vertrag über eine Globalzession von Fluggastrechtsansprüchen vorgelegt. Das AG hat die Klage mangels Aktivlegitimation der Klägerin abgewiesen.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem LG erfolglos.

Die Gründe:
In der Berufungsinstanz war unstreitig, dass ein Vertrag über eine Globalzession von Fluggastrechtsansprüchen zugunsten der Klägerin existierte, in dem auch der streitgegenständliche Flug erfasst worden war. Dieser Tatsachenvortrag war zwingend zu berücksichtigen und führte dazu, dass die Klägerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Forderungen aktivlegitimiert war. Allerdings war die Berufung in der Sache erfolglos.

Das ausführende Luftfahrtunternehmen ist dann nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 der VO (EG) 261/2004 wegen einer Ankunftsverspätung am Endziel von mehr als 3 Stunden zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004. Dafür trägt das Luftfahrtunternehmen die Darlegungs- und Beweislast. Und der Beklagten ist es zunächst gelungen zu beweisen, dass das für den streitgegenständlichen Umlauf eingeplante Flugzeug infolge eines Blitzeinschlages nicht flugtauglich war.

Ein Blitzeinschlag stellt nach der Ansicht der Kammer einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 dar. In der Entscheidung vom 31.1.2013, Az. C-12/11 hob der EuGH nämlich hervor, dass der Begriff "außergewöhnliche Umstände" nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wörtlich auf Umstände "abseits des Gewöhnlichen" abstellt. Für die Beurteilung der Umstände als außergewöhnlich ist somit maßgeblich, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Flugs gerechnet werden muss. Das bedeutet, dass einem Luftfahrtunternehmen auch die unvermeidbaren Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Flugs seiner Risikosphäre zugewiesen werden, die nicht aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen und somit bestenfalls ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich sind.

In der Entscheidung vom 4.5.2017, Az. C-315/15 hat der EuGH die durch einen Vogelschlag verursachte Beschädigung eines Flugzeugs als außergewöhnlichen Umstand betrachtet. Vogelschläge seien "mangels untrennbarer Verbundenheit mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs ("[not] intrinsically linked to the operating system of the aircraft") ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar". Folglich seien sie als "außergewöhnlicher Umstand" i.S.v. Art. 5 VO (EG) 261/2004 einzustufen.

Daran anknüpfend qualifizierte u.a. das Handelsgericht Wien als Berufungsgericht - im Sinn eines "acte clair" (RS0123074) - auch einen Blitzschlag als außergewöhnlichen Umstand. Bei beiden Ereignissen handle es sich um von außen wirkende (Natur-)Ereignisse (HG Wien vom 24.7.2017 zu 1 R 42/17y, vom 14.8.2017 zu 60 R 9/17d und vom 18.12.2017 zu 1 R 131/17m). Die Kammer schließt sich dieser überzeugenden rechtlichen Würdigung an. Einem Vogel- oder Blitzschlag kommt keine Unterstützungsfunktion zur Bewältigung des Flugverkehrs zu. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um ein von außen wirkendes (Natur-) Ereignis und damit um einen außergewöhnlichen Umstand.

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Aufsatz
Charlotte Achilles-Pujol
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021
MDR 2023, 65

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