05.07.2022

Reiseveranstalter kann sich seiner Darlegungslast hinsichtlich einer Entschädigung nicht so einfach entziehen

Ein Reiseveranstalter kann sich seiner Obliegenheit, die Umstände darzulegen, die für die Angemessenheit einer im Reisevertrag vorgesehenen pauschalen Entschädigung wegen Kündigung vor Reiseantritt maßgeblich sind, nicht dadurch entziehen, dass er mit einem verbundenen Unternehmen, das die Verträge mit den Leistungserbringern schließt und von dem er auf Grundlage eines Kooperationsvertrages die Reiseleistungen bezieht, entsprechende Pauschalsätze vereinbart und an dieses entrichtet.

BGH v. 24.5.2022 - X ZR 12/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger im März 2018 hatte mit der Beklagten einen Pauschalreisevertrag für sich und seine Ehefrau für einen Reisepreis von insgesamt rund 24.248 € abgeschlossen. Der Vertrag betraf eine Australienrundreise im Zeitraum vom 16.10. bis 23.11.2018. Fünf Tage vor Reisebeginn trat der Kläger wegen Erkrankung seiner Ehefrau von der Reise zurück.

Die allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten sehen unter V.3 folgende pauschalierte Entschädigung vor:

Die Entschädigung wird nach dem Zeitpunkt des Zugangs der Rücktrittserklärung ... wie folgt berechnet:

bis 30. Tag vor Reiseantritt: 20 %
bis 21. Tag vor Reiseantritt: 40 %
bis 14. Tag vor Reiseantritt: 50 %
bis 5. Tag vor Reiseantritt: 70 %

ab dem 4. Tag bis zum Tag des Reiseantritts oder bei Nichtantritt der Reise: 80 % des Gesamtpreises.

Dem Kunden bleibt es in jedem Fall unbenommen, ... nachzuweisen, dass ... überhaupt kein oder ein wesentlich geringerer Schaden entstanden ist als die ... geforderte Pauschale.


Die Beklagte erstattete von dem bereits gezahlten Reisepreis einen Teilbetrag von 8.134 € und behielt den Rest als pauschale Entschädigung ein. Der Kläger hielt eine pauschale Entschädigung, die über 50 % des Reisepreises hinausgeht, für unangemessen und verlangte von der Beklagten Erstattung weiterer 3.989 €.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LG die Beklagte mit Ausnahme eines Teils des geltend gemachten Zinsanspruchs antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Auf den Vertrag war gem. Art. 229 § 42 EGBGB das bis 30.6.2018 geltende Pauschalreiserecht anzuwenden, weil er vor dem 1.7.2018 geschlossen worden war.

Das LG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger ein weiterer Erstattungsanspruch i.H.v. 3.989 € zusteht. Denn nach § 651i Abs. 2 Satz 1 BGB aF verliert der Reiseveranstalter bei Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn den Anspruch auf den Reisepreis und dieser ist zurückzuerstatten. Der Beklagten steht somit die von ihr auf Grundlage von 70 % des Reisepreises einbehaltene pauschale Entschädigung nach § 651i Abs. 3 BGB aF nicht zu.

Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Darlegungs- und Beweislastlast hinsichtlich der für die Angemessenheit der ge-forderten Entschädigung maßgeblichen Umstände dem Reiseveranstalter obliegt. Der Anspruch auf Entschädigung gem. § 651i Abs. 2 und 3 BGB aF ist ein Gegenrecht, das der Reiseveranstalter dem Anspruch des Reisenden auf Erstattung des bereits gezahlten Reisepreises entgegenhalten kann. Dementsprechend obliegt es dem Reiseveranstalter, die Voraussetzungen dieses Gegenanspruchs darzulegen und zu beweisen.

Sofern der Reiseveranstalter seinen Entschädigungsanspruch auf eine vertragliche Pauschalierung gem.§ 651i Abs. 3 BGB stützt, muss er darlegen und erforderlichenfalls unter Beweis stellen, welche Möglichkeiten zur Ersparnis von Aufwendungen oder zur anderweiten Verwendung von Leistungen gewöhnlicherweise bestehen. Ein Reiseveranstalter, der in seinen AGB pauschalierte Entschädigungssätze vorsieht, muss in einem Rechtsstreit über die Zulässigkeit dieser Klausel deshalb darlegen und beweisen, welche Aufwendungen gewöhnlich erspart werden und welche anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten der Reiseleistungen gewöhnlich bestehen.

Die Vorinstanz hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Beklagte ihrer Darlegungslast im Streitfall nicht nachgekommen war. Der Verweis der Beklagten auf die Kooperationsvereinbarung mit einem verbundenen Unternehmen und die darin vorgesehenen pauschalen Stornierungsgebühren war nicht ausreichend. Denn ein Reiseveranstalter kann sich seiner Obliegenheit, die Umstände darzulegen, die für die Angemessenheit einer im Reisevertrag vorgesehenen pauschalen Entschädigung wegen Kündigung vor Reiseantritt maßgeblich sind, nicht dadurch entziehen, dass er mit einem verbundenen Unternehmen, das die Verträge mit den Leistungserbringern schließt und von dem er auf Grundlage eines Kooperationsvertrages die Reiseleistungen bezieht, entsprechende Pauschalsätze vereinbart und an dieses entrichtet.

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