10.02.2021

Schadensersatzklage im Dieselskandal: Muss der Kläger die Kenntnis des Vorstands nachweisen?

Zur sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen hatte und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

BGH v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Die Klage wurde von LG und OLG abgewiesen, weil die Klägerin nicht substantiiert dargelegt habe, welche konkrete Person, deren Handeln sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsste, den deliktischen Tatbestand verwirklicht habe.

Der BGH hat nun die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Gründe:
Das OLG durfte - wie die Revision mit Erfolg rügt - von der Klägerin keinen näheren Vortrag dazu verlangen, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person ein entsprechendes sittenwidriges Verhalten in Form der geplanten Abgswertemanipulation an den Tag gelegt hat.

Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat.

Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen hatte und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

Wie die Revision mit Erfolg rügt, hat die Klägerin konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass diese Entscheidung von den für die Forschungsund Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden ist. Die Revision verweist zu Recht auf den Vortrag der Klägerin, wonach wenigstens ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten die Entscheidung zum Einsatz der Software mit ihren von der Klägerin zuvor beschriebenen "speziellen Eigenschaften" ("Manipulationssoftware") getroffen oder diese zumindest "abgesegnet" habe. Dafür spreche angesichts der Tragweite der Entscheidung eine tatsächliche Vermutung. Auch habe der Vorstand Anlass zur Überprüfung der Abläufe gehabt, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Mitarbeiter die "Auflistung" (gemeint wohl: Auflösung) der technischen Problematik einmal gelungen sei. Zur Tragweite der Entscheidung hat die Klägerin, wie von der Revision zutreffend geltend gemacht, darauf verwiesen, dass mehr als 10 Millionen Fahrzeuge betroffen seien. Angesichts der Tatsache, dass die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung die grundlegende strategische Frage betrifft, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Beklagte die Einhaltung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm sicherstellen wollte, sind die entsprechenden Behauptungen der Klägerin nicht von der Hand zu weisen.

Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass die Klägerin insoweit außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann. Die Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick der Klägerin entziehen. Demggü. war der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar.
BGH online
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