Traktor als Hebebühne genutzt - Wer haftet bei einem Arbeitsunfall?
OLG Hamm v. 4.12.2024 - 11 U 84/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger war bei der Fa. H. als Maler und Lackierer angestellt. Er hatte am Giebel eines Stallgebäudes des Beklagten 2.) Malerarbeiten durchgeführt. Dabei stand er in einem am Traktor des Beklagten zu 2.) angebrachten Gitterkorb, der vom Beklagten zu 2.) über die Hydraulik des Traktors, der beim Beklagten zu 1.) haftpflichtversichert ist, jeweils so neu positioniert worden war, dass vom Kläger ein anderer Teilbereich des Gebäudegiebels gestrichen werden konnte. Im Zuge der Arbeiten stürzte der Kläger aus mehreren Metern auf den Boden. Er verletzte sich schwer und kann heute seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben.
Der Unfall wurde von der Berufsgenossenschaft des Klägers, der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, als Arbeitsunfall anerkannt. Wegen des vorgenannten Unfallgeschehens wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet und später gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Daraufhin nahm der Kläger die beiden Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie Feststellung ihrer Ersatzpflicht für unfallbedingte Zukunftsschäden in Anspruch.
Das LG hat die Ermittlungsakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Danach hat es die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustünden, weil ihnen bereits die Haftungsprivilegierung der §§ 104, 105 Abs. 1 SGB VII entgegenstehe. Zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2.) habe bei der Ausführung der Malerarbeiten eine sog. Gefahrengemeinschaft bestanden.
Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil aufgehoben und der Klage überwiegend stattgegeben. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig, sondern in der Revision beim BGH unter dem Az. VI ZR 420/24 anhängig.
Die Gründe:
Die zulässige Berufung des Klägers hat dem Grunde nach unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 20 %. überwiegend Erfolg.
Zwar hatte sich das Unfallgeschehen nicht i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG "bei dem Betrieb" des für die Malerarbeiten eingesetzten Traktors des Beklagten zu 2.) ereignet, weshalb eine entsprechende Haftung der Beklagten ausschied. Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen wie dem hier zum Einsatz gelangten Traktor ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kfz als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat.
Die Klage ist aber unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 20 % gegenüber dem Beklagten zu 2.) aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB und gegenüber dem Beklagten zu 1.) aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB i.V.m. § 115 VVG und § 1 PflVG gerechtfertigt. Der Beklagte zu 2.) handelte insoweit zumindest fahrlässig. Denn bei Einhaltung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt hätte er erkennen können und müssen, dass eine unachtsame Bedienung des Joysticks durch ihn dazu führen könnte, dass der Gitterkorb auch nach vorne abkippt und dadurch der in ihm stehende Kläger aus dem Gitterkorb stürzen könnte.
Die Haftung der Beklagten war weder nach § 105 Abs. 1 SGB VII, noch nach § 106 Abs. 3 SGB VII ausgeschlossen. Nach BGH-Rechtsprechung ist eine Aussetzung des vor dem Zivilgericht geführten Verfahrens gem. § 108 Abs. 2 SGB VII wegen unterlassener Beteiligung des Schädigers am Verwaltungsverfahren ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn die Nachholung seiner Beteiligung auf eine bloße Förmelei hinausliefe. Durch die von der Berufsgenossenschaft des Klägers vorgenommene Anerkennung des Unfallgeschehens als Arbeitsunfall wurden beide Beklagten allein begünstigt. Dass der Arbeitsunfall des Klägers nicht dessen Berufsgenossenschaft, sondern etwa der landwirtschaftlichen Betriebsgenossenschaft des Beklagten zu 2.) zuzuordnen sei, behaupteten die Beklagten selbst nicht. Die Haftung der Beklagten war nicht gem. §105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Denn der Beklagte zu 2.) hatte zum Unfallzeitpunkt keine dem Malerbetrieb der Fa. H. zuzuordnende betriebliche Tätigkeit ausgeübt.
Die Beklagten konnten sich auch nicht auf eine Haftungsbeschränkung nach § 106 Abs. 3, 3. Altn. SGB VII berufen. Zwar griffen die Tätigkeiten des Klägers und des Beklagten zu 2) bewusst und gewollt ineinander und ergänzten sich gegenseitig. Allerdings gilt das Haftungsprivileg schon seinem Wortlaut nach ("Versicherte mehrerer Unternehmen") nur für versicherte Unternehmer. Das heißt, dass es sich bei der den Schadensfall herbeiführenden Tätigkeit des Unternehmers für diesen um eine in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Tätigkeit gehandelt haben muss. Daran fehlte es vorliegend aber in Bezug auf den Beklagten zu 2.). Die Malerarbeiten waren an die Fa. H. fremdvergeben worden.
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Justiz NRW
Der Kläger war bei der Fa. H. als Maler und Lackierer angestellt. Er hatte am Giebel eines Stallgebäudes des Beklagten 2.) Malerarbeiten durchgeführt. Dabei stand er in einem am Traktor des Beklagten zu 2.) angebrachten Gitterkorb, der vom Beklagten zu 2.) über die Hydraulik des Traktors, der beim Beklagten zu 1.) haftpflichtversichert ist, jeweils so neu positioniert worden war, dass vom Kläger ein anderer Teilbereich des Gebäudegiebels gestrichen werden konnte. Im Zuge der Arbeiten stürzte der Kläger aus mehreren Metern auf den Boden. Er verletzte sich schwer und kann heute seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben.
Der Unfall wurde von der Berufsgenossenschaft des Klägers, der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, als Arbeitsunfall anerkannt. Wegen des vorgenannten Unfallgeschehens wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet und später gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Daraufhin nahm der Kläger die beiden Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie Feststellung ihrer Ersatzpflicht für unfallbedingte Zukunftsschäden in Anspruch.
Das LG hat die Ermittlungsakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Danach hat es die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustünden, weil ihnen bereits die Haftungsprivilegierung der §§ 104, 105 Abs. 1 SGB VII entgegenstehe. Zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2.) habe bei der Ausführung der Malerarbeiten eine sog. Gefahrengemeinschaft bestanden.
Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil aufgehoben und der Klage überwiegend stattgegeben. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig, sondern in der Revision beim BGH unter dem Az. VI ZR 420/24 anhängig.
Die Gründe:
Die zulässige Berufung des Klägers hat dem Grunde nach unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 20 %. überwiegend Erfolg.
Zwar hatte sich das Unfallgeschehen nicht i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG "bei dem Betrieb" des für die Malerarbeiten eingesetzten Traktors des Beklagten zu 2.) ereignet, weshalb eine entsprechende Haftung der Beklagten ausschied. Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen wie dem hier zum Einsatz gelangten Traktor ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kfz als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat.
Die Klage ist aber unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 20 % gegenüber dem Beklagten zu 2.) aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB und gegenüber dem Beklagten zu 1.) aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB i.V.m. § 115 VVG und § 1 PflVG gerechtfertigt. Der Beklagte zu 2.) handelte insoweit zumindest fahrlässig. Denn bei Einhaltung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt hätte er erkennen können und müssen, dass eine unachtsame Bedienung des Joysticks durch ihn dazu führen könnte, dass der Gitterkorb auch nach vorne abkippt und dadurch der in ihm stehende Kläger aus dem Gitterkorb stürzen könnte.
Die Haftung der Beklagten war weder nach § 105 Abs. 1 SGB VII, noch nach § 106 Abs. 3 SGB VII ausgeschlossen. Nach BGH-Rechtsprechung ist eine Aussetzung des vor dem Zivilgericht geführten Verfahrens gem. § 108 Abs. 2 SGB VII wegen unterlassener Beteiligung des Schädigers am Verwaltungsverfahren ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn die Nachholung seiner Beteiligung auf eine bloße Förmelei hinausliefe. Durch die von der Berufsgenossenschaft des Klägers vorgenommene Anerkennung des Unfallgeschehens als Arbeitsunfall wurden beide Beklagten allein begünstigt. Dass der Arbeitsunfall des Klägers nicht dessen Berufsgenossenschaft, sondern etwa der landwirtschaftlichen Betriebsgenossenschaft des Beklagten zu 2.) zuzuordnen sei, behaupteten die Beklagten selbst nicht. Die Haftung der Beklagten war nicht gem. §105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Denn der Beklagte zu 2.) hatte zum Unfallzeitpunkt keine dem Malerbetrieb der Fa. H. zuzuordnende betriebliche Tätigkeit ausgeübt.
Die Beklagten konnten sich auch nicht auf eine Haftungsbeschränkung nach § 106 Abs. 3, 3. Altn. SGB VII berufen. Zwar griffen die Tätigkeiten des Klägers und des Beklagten zu 2) bewusst und gewollt ineinander und ergänzten sich gegenseitig. Allerdings gilt das Haftungsprivileg schon seinem Wortlaut nach ("Versicherte mehrerer Unternehmen") nur für versicherte Unternehmer. Das heißt, dass es sich bei der den Schadensfall herbeiführenden Tätigkeit des Unternehmers für diesen um eine in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Tätigkeit gehandelt haben muss. Daran fehlte es vorliegend aber in Bezug auf den Beklagten zu 2.). Die Malerarbeiten waren an die Fa. H. fremdvergeben worden.
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