07.06.2018

Unterlassene Berücksichtigung eines durch einen Medizinfachzeitschriftenartikel belegten Parteivortrags

Die unterlassene Berücksichtigung eines durch einen Fachzeitschriftenartikel und durch eine Sachverständigenaussage grds. bestätigten Vortrag einer Partei durch das Gericht kann zu einem entscheidungserheblichen Gehörverstoß nach Art. 103 Abs. 1 GG führen.

BGH 17.4.2018, VI ZR 140/17
Der Sachverhalt:
Im Oktober 2007 implantierte der Beklagte, ein niedergelassener Orthopäde, der damals 64 Jahre alten Klägerin eine Hüftprothese in der Form eines Oberflächenersatzes nach McMinn, bei der der geschädigte Gelenkkopf des Oberschenkelknochens nicht wie bei der konventionellen Totalendoprothese (TEP) entfernt, sondern überkront, d.h. mit einer Hüftkappe versehen wird. Die Klägerin litt nach der OP weiterhin unter starken Schmerzen. Nachdem nichts zur Besserung beigetragen hatte, entfernte der Beklagte die Hüftkappe und implantierte eine konventionelle Schaftprothese. Auch im weiteren Verlauf litt die Klägerin unter Schmerzen. Im Mai 2010 wurde die Hüftpfanne der Klägerin ausgetauscht. Es kam zu einer Wanderung der neuen Pfanne und einem Bruch des Hüftknochens sowie zu weiteren Luxationen. Es folgten drei weitere Revisionsoperationen.

Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, dass er ihr eine in Anbetracht ihres Alters und ihrer Konstitution nicht indizierte Oberflächenersatzprothese implantiert und diese nicht lege artis eingesetzt habe. Zudem habe er sie nicht hinreichend über die gleichwertige Behandlungsalternative einer Standard-TEP aufgeklärt. Die Klägerin beanspruchte daher vom Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens.

Das LG wies die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ab. Das Kammergericht wies die Berufung der Klägerin ebenso nach Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens zurück. Es konnte keinen Behandlungsfehler erkennen. Dem Beklagten sei auch eine Aufklärungspflichtverletzung nicht vorzuwerfen, da die unterschiedlichen Prothesetypen jedenfalls aus ex ante Sicht keine signifikanten Unterschiede aufgewiesen hätten. Die von der Klägerin zitierten Literaturfundstellen seien nicht relevant. Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte teilweise in Bezug auf die Aufklärungspflichtverletzung Erfolg. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe die Klägerin nicht über die Behandlungsalternative einer konventionellen Hüft-TEP aufklären müssen, da die Prothese nach McMinn und die konventionelle TEP keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf Risiken und Chancen aufwiesen, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Berufungsgericht hat den durch eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift belegten und durch die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung grds. bestätigten Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt, wonach zum Operationszeitpunkt bekannt gewesen sei, dass die Komplikationsrate beim Oberflächenersatz im Vergleich zum konventionellen Gelenkersatz am Hüftgelenk erhöht gewesen sei. Primäre Fehlerursache sei dabei insbesondere das femoroazetabuläre Impingement. Der Vortrag der Klägerin wird durch die Veröffentlichung in der Fachzeitschrift "Der Orthopäde" von April 2007 bestätigt. Der gerichtliche Sachverständige hat den Vortrag ebenso grds. bestätigt. Er gab an, dass ein Impingement bei Kappenprothesen häufiger auftauche, da man infolge der Kappe einen großen Kopfdurchmesser habe. Bei der Klägerin habe ein Impingement vorgelegen. Der Sachverständige bestätigte zudem die Relevanz der Fachzeitschrift "Der Orthopäde".

Die Aussage des Berufungsgerichts, wonach die von der Klägerin zitierten Fundstellen nicht relevant seien und die Oberflächenersatzprothese kein höheres Risiko bzgl. eines Impingement-Syndroms aufweise, kann daher nur auf einer selektiven Kenntnisnahme beruhen. Das Gericht hat übersehen, dass bei der Verwendung einer Prothese nach McMinn nicht nur ein übliches Implantatrisiko, sondern nach Vortrag der Klägerin - bestätigt durch den Fachzeitschriftenartikel und den Sachverständigen -ein erhöhtes Impingementrisiko besteht.

Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des grds. bestätigten Vortrags der Klägerin zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre.

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