07.05.2025

Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge

Die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers umfasst nicht nur die Kontrollfunktion, sondern auch die Vollzugsfunktion. Die Durchsetzung der in diesem Zusammenhang ergehenden Entscheidungen obliegt zwar weiterhin den Krankenkassen als Einzugsstellen. Diese werden jedoch lediglich im Auftrag der Rentenversicherungsträger tätig, denen eine vorrangige Prüfungs- und Entscheidungskompetenz zusteht.

LG Lübeck v. 25.4.2025 - 10 O 255/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der Beklagte war geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH. Das Hauptzollamt Kiel, Finanzkontrolle Schwarzarbeit Lübeck, hatte am 28.12.2017 Ermittlungen gegen den Beklagten eingeleitet, bei denen sich herausstellte, dass er in der Zeit von Januar 2016 bis Juli 2018 diverse Arbeitnehmer beschäftigt hatte, die er nicht zur Sozialversicherung meldete, und sich dadurch die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen ersparte. Das Ergebnis der Ermittlungen wurde der Deutschen Rentenversicherung Bund zur Auswertung, insbesondere Prüfung und Berechnung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge mitgeteilt.

Die Deutsche Rentenversicherung führte vom 31.7.2019 bis zum 8.1.2020 eine Betriebsprüfung in dem Betrieb des Beklagten durch. Mit Bescheid vom 14.1.2020, zugestellt an den Insolvenzverwalter, stellte sie die für die ermittelten nicht gemeldeten Arbeitnehmer vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge fest. Aus dem Insolvenzverfahren erhielt die Klägerin eine Quote von 7,51 %. Mit Schreiben vom 28.9.2022 machte sie gegenüber dem Beklagten ihren Anspruch unter Fristsetzung bis zum 18.10.2022 geltend. Zu der Zeit lief bereits ein strafrechtliches Verfahren wegen Beitragsvorenthaltung gegen den Beklagten. Dieser wurde am 7.8.2023 wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Sozialversicherungsbeiträgen in 41 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit 23.8.2023 rechtskräftig.

Die Klägerin verlangte vom Beklagten Zahlung von 186.981 € für den Schaden aus dem Jahr 2016. Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Es sei keine rechtzeitige Hemmung der Verjährungsfrist eingetreten, weil die Klage nicht demnächst i.S.v. § 167 ZPO zugestellt worden sei. Die Klägerin habe trotz offensichtlich abweichender Anhaltspunkte aus der Ermittlungsakte in der Klage zunächst eine Adresse in Munster angegeben, unter der der Beklagte nicht zu erreichen gewesen sei. Auf die Klage vom 4.11.2022, die die Klägerin an eine Anschrift in Munster gerichtet hatte, hat das Gericht einen Kostenvorschuss angefordert, der am 30.11.2022 eingezahlt wurde. Die Klage ist dem Beklagten am 28.12.2022 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 5.4.2023 hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung des Strafverfahrens ausgesetzt. Unter dem 17.4.2024 hat die Klägerin beantragt, das Verfahren wieder aufzunehmen.

Das LG hat der Klage weitestgehend stattgegeben.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Schadenersatzanspruch i.H.v. 186.981 € aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a Abs. 1 StGB.

Der Beklagte konnte die Leistung nicht nach § 214 Abs. 1 BGB verweigern, weil der Anspruch nicht verjährt ist. Für den Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB galt die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB von drei Jahren. Diese begann mit Abschluss des Jahres 2019. Der Anspruch ist aufgrund der unterbliebenen Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen im Jahr 2016 entstanden. Hiervon hatten die zuständigen Bediensteten der Deutschen Rentenversicherung als maßgeblich Einrichtung im Jahr 2019 Kenntnis erlangt. Bei Behörden, juristischen Personen und Körperschaften des öffentlichen Rechts kommt es für die Kenntnis darauf an, wann der für die Vorbereitung und Verfolgung des Regressanspruchs zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde, die den Lauf der Verjährung auslösende Kenntnis erlangt hat.

Die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers umfasst nicht nur die Kontrollfunktion, sondern auch die Vollzugsfunktion. Die Durchsetzung der in diesem Zusammenhang ergehenden Entscheidungen obliegt zwar weiterhin den Krankenkassen als Einzugsstellen. Diese werden jedoch lediglich im Auftrag der Rentenversicherungsträger tätig, denen eine vorrangige Prüfungs- und Entscheidungskompetenz zusteht. Aus diesem Grund ist für den Beginn der Verjährung auf die Kenntnis der Bediensteten der Rentenversicherung abzustellen. Würde man auf die Kenntnis der Bediensteten der Krankenkassen abstellen, könnten die Rentenversicherungsträger den Beginn der Verjährungsfrist beliebig hinauszögern.

Die dreijährige Verjährungsfrist i.S.d. § 195 BGB wäre zum Ende des Jahres 2022 abgelaufen. Da der 31.12.2022 auf einen Sonnabend gefallen ist, endete die Frist gem. § 193 BGB mit Ablauf des folgenden Montags, mithin am 2.1.2023. Die Verjährungsfrist ist zunächst durch Einreichung der Klage bei Gericht am 4.11.2022 nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. § 167 ZPO gehemmt worden. Die Klage ist demnächst i.S.v. § 167 ZPO zugestellt worden. Soweit aufgrund Angabe einer fehlerhaften Adresse des Beklagten eine Verzögerung eingetreten war, beruhte diese nicht auf einer Nachlässigkeit der Klägerin. Unerheblich war, ob der Klägerin zum Vorwurf gemacht werden konnte, vor Angabe der Anschrift des Beklagten in der Klageschrift nicht geprüft zu haben, ob die ihr bekannte ladungsfähige Anschrift noch aktuell war. Denn selbst im hypothetischen Fall, in dem an die Adresse aus der Ermittlungsakte zugestellt worden wäre, wäre eine Zustellung der Klage ebenfalls nicht möglich gewesen.

Da die Klägerin den Kostenvorschuss am 29.11.2022 eingezahlt hatte, kam eine zurechenbare Verzögerung unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht. Zudem war die Hemmung der Verjährung auch nicht durch Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 6.4.2023 beendet worden. Die Aussetzung eines Verfahrens fällt grundsätzlich nicht unter § 204 Abs. 2 S. 1 BGB. Zwar ist die Hemmung der Verjährung nach Wegfall des Aussetzungsgrundes aufgrund Nichtbetreibens des Verfahrens durch die Parteien zwischenzeitig beendet worden. Sie hat aber hat nach § 204 Abs. 2 S. 3 BGB am 17.4.2024 erneut begonnen, nachdem die Klägerin am selben Tag die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt hatte.

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