30.04.2025

Verwertbarkeit eines Privatgutachtens im Vaterschaftsanfechtungsverfahren

Zwischen den Beteiligten eines Privatgutachtens iSd. § 177 Abs. 2 Satz 2 FamFG und den Beteiligten eines Vaterschaftsanfechtungsverfahrens (§ 172 FamFG) muss keine Identität bestehen. Holen der Putativvater, die Mutter und das Kind einvernehmlich ein (Privat)Vaterschaftsgutachten ein, so kann dies im Vaterschaftsanfechtungsverfahren (§ 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB) nach § 177 Abs. 2 Satz 2 FamFG verwertet werden, wenn das Kind, der Vater und die Mutter im Anfechtungsverfahren damit einverstanden sind und das Privatgutachten den Anforderungen der Richtlinie der Gendiagnostikkommission (GEKO) für die Anforderungen an die Durchführung genetischer Analysen zur Klärung der Abstammung entspricht bzw. das Privatgutachten keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der im Gutachten getroffenen Feststellungen aufwirft.

AG Sigmaringen v. 18.12.2024 - 2 F 343/24
Der Sachverhalt:
Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung der Vaterschaft. Mit dem Antrag vom 20.8.2024 beantragte das Kind, vertreten durch das Jugendamt, die Feststellung, dass der Beteiligte J. nicht der Vater ist.

Die Mutter war zum Zeitpunkt der Geburt mit dem Beteiligten J. [Vater] verheiratet. Sie leben jetzt getrennt, eine Scheidung hat (noch) nicht stattgefunden.

Der Putativvater [L], das Kind und die Mutter haben - außergerichtlich - ein Vaterschaftsgutachten in Auftrag gegeben, das unter dem 22.10.2024 erstattet und dem Familiengericht vorgelegt worden ist. Sowohl das Kind als auch die Mutter (mit Schreiben vom 28.10.2024) und der Vater (mit Mail vom 09.12.2024) haben der Verwertung des Gutachtens zugestimmt. Beide Eltern sind mit dem Vaterschaftsanfechtungsverfahren einverstanden. Der Vater tritt dem Antrag in der Abstammungssache nicht entgegen.

Das AG stellte antragsgemäß fest, dass der Beteiligte J. nicht der Vater des Kindes E. ist.

Die Gründe:
Der nach §§ 1600 ff. BGB, 169 Nr. 4 FamFG zulässige Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft ist begründet. Der Beteiligte J. gilt zwar als Vater des Kindes E., da er zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war.

Dieser Schein der Vaterschaft entspricht jedoch nicht den Tatsachen, denn nach dem Ergebnis der Verhandlung und Beweisaufnahme ist es offenbar unmöglich, dass der Beteiligte J. der biologische Vater des Kindes ist. Denn als biologischer Vater steht ausweislich des (Privat)Vaterschaftsgutachtens vom 22.10.2024 L. fest, was die biologische Vaterschaft des J. denklogisch ausschließt.

Nach dem (Privat)Vaterschaftsgutachten vom 22.10.2024 steht fest, dass L. zu mehr als 99,9999% Vater des Kindes ist. Dieses Gutachten ist hier im Anfechtungsverfahren verwertbar, die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ist entbehrlich.

Im Anfechtungsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz mit der Einschränkung des § 177 Abs. 1 FamFG. Dem entsprechend hat im hier vorliegenden Fall des § 169 Nr. 4 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme stattzufinden (§ 177 Abs. 2 S. 1 FamFG). Danach ist grundsätzlich vom Gericht ein Abstammungsgutachten einzuholen. Nach § 177 Abs. 2 S. 2 FamFG kann die Begutachtung durch einen Sachverständigen aber durch die Verwertung eines von einem Beteiligten mit Zustimmung der anderen Beteiligten eingeholten Gutachtens über die Abstammung ersetzt werden, wenn das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der im Gutachten getroffenen Feststellungen hat und die Beteiligten zustimmen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das Vaterschaftsgutachten vom 22.10.2024 ist von § 177 Abs. 2 S. 2 FamFG erfasst.

Bei dem Vaterschaftsgutachten vom 22.10.2024 handelt es sich um ein Gutachten, an dem das Kind, die Mutter und der Putativvater beteiligt waren; es handelt sich nicht um ein Gutachten, das im Rahmen des § 1598a Abs. 1 BGB eingeholt worden ist bzw. eingeholt werden konnte, denn diese Vorschrift gilt nur für den rechtlichen Vater iSd. § 1592 BGB. Diese Beteiligten stimmen mit dem Beteiligten des Anfechtungsverfahrens nicht überein, an dem Kind, Mutter und (rechtlicher) Vater beteiligt sind (§ 172 FamFG), die wiederum Beteiligte iSd. § 1598a Abs. 1 BGB sein könnten. Jedoch müssen die Beteiligten des (Privat)Gutachtens nicht mit den Beteiligten des Anfechtungsverfahrens übereinstimmen.

Zwar hat der Wortlaut der Vorschrift den Fall der Identität der Beteiligten im außergerichtlichen wie im gerichtlichen Verfahren im Auge: Haben die Beteiligten iSd. § 172 FamFG außergerichtlich bereits - im Rahmen des § 1598a BGB (also der rechtliche Vater iSd. § 1592 BGB) - mit ihrer Zustimmung ein Gutachten zur Abstammung eingeholt, so sollen diese identischen Beteiligten dieses Gutachten im Anfechtungsverfahren verwerten können, wenn alle der Verwertung im Gerichtsverfahren zustimmen und das Gutachten keine Zweifel an Richtigkeit und Vollständigkeit aufwirft.

Nach Sinn und Zweck der Vorschrift kommt sie in der hier vorliegenden Konstellation zur Anwendung, bei dem das Kind, die Mutter und der Putativvater - außerhalb des § 1598a Abs. 1 BGB (vgl. oben) - die Abstammung begutachten lassen. Die Vorschrift will erreichen, dass durch Verwertung eines Privatgutachtens die erneute gerichtliche Begutachtung erspart wird. In derartigen Fällen wäre der Zwang zur Einholung eines gerichtlichen Abstammungsgutachtens lediglich ein kostenverursachender Formalismus, der den Beteiligten kaum zu vermitteln wäre.

Das Vaterschaftsgutachten vom 22.10.2024 wurde mit Zustimmung der Mutter und des Kindes und des Putativvaters, eingeholt. Da Vater und Mutter mit der Verwertung des Gutachtens einverstanden sind, ist auch davon auszugehen, dass sie mit der Gutachtenerstellung einverstanden sind bzw. waren, auch wenn der Vater daran formal nicht beteiligt war. Vater, Mutter und Kind haben der Verwertung des Gutachtens im Gerichtsverfahren zugestimmt.

Mehr zum Thema:

Verwertung eines Privatgutachtens im Abstammungsverfahren
AG Sigmaringen vom 18.12.2024 - 2 F 343/24
Michael Giers, FamRB 2025, 198

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