Wie muss eine Baustelle gesichert sein, damit der Bauherr seiner Verkehrssicherungspflicht genügt?
LG Koblenz v. 31.1.2025 - 13 S 32/24Die Parteien streiten über von der Klägerin geltend gemachte Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Sturz im Februar 2022 im Bereich einer Straße in Remagen. Diese Straße verfügt über keinen gesondert ausgewiesenen Gehweg.
Die Beklagte führte zu diesem Zeitpunkt Straßenbaumaßnahmen auf der teilweise deutlich erneuerungsbedürftigen Straße durch. Diese führten u.a. zu einer Fräskante auf der Straße. Der betroffene Streckenabschnitt war gemäß der behördlichen Anordnung beschildert. Die Klägerin stürzte an der Fräskante und erlitt eine distale Radiusfraktur links. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt habe. Auf die Fräskante sei nicht ordnungsgemäß hingewiesen worden. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass sie ihre Verkehrssicherungspflichten vollumfänglich erfüllt habe. Jedenfalls sei der Klägerin ein so erhebliches Mitverschulden anzulasten, dass schon aus diesem Grund der geltend gemachte Anspruch ausgeschlossen sei.
Das AG verurteilte die Beklagte zur Zahlung von ca. 1.000 €. Die Kosten des Rechtsstreits legte das AG den Parteien zu je 50 % auf. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte eine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Es fehle an einem Schild mit ausdrücklichem Bezug zu einer Baustelle oder an einem Schild mit dem Hinweis auf Fahrbahnunebenheiten. Das AG sah zu Lasten der Klägerin jedoch auch ein Mitverschulden, da sie nach Überqueren der ersten Fräskante eine weitere Fräskante habe erwarten müssen.
Hiergegen wenden sich beide Parteien jeweils mit dem Rechtsmittel der Berufung und dem Ziel, mit Ihren jeweiligen Anträgen vollumfänglich zu obsiegen. Das LG hat dem Antrag der Beklagten auf Klageabweisung vollumfänglich stattgegeben und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld oder materiellen Schadensersatz gem. §§ 823 Abs.1, 249, 253 BGB gegen die Beklagte aufgrund des streitgegenständlichen Sturzereignisses. Der Beklagten kann bereits keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen werden. Auf ein mögliches Mitverschulden der Klägerin kommt es vor diesem Hintergrund schon nicht mehr an.
Im Grundsatz ist derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu vermeiden. Eine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflicht beginnt erst dort, wo auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage überraschend eintritt und nicht rechtzeitig erkennbar ist. Entscheidend sind daher auch die äußeren Gesamtumstände. So sind beispielsweise andere Anforderungen an die Absicherung einer Gefahrenquelle für Fußgänger in einer Fußgängerzone als auf einem Gebirgspfad anzulegen.
Für Gefahrenstellen innerhalb eines erkennbaren Baustellenbereiches bedeutet dies, dass nicht jede Unebenheit besonders gekennzeichnet werden muss. Unebenheiten sind in Baustellenbereichen vielmehr grundsätzlich zu erwarten. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Baustellenbereich ausreichend deutlich gekennzeichnet. Bei einer Fräskante handelt es sich um eine typische Baustellenunebenheit, mit der ein Fußgänger im Bereich einer Baustelle zu rechnen hat.
Die Sturzstelle liegt auf einer untergeordneten Straße mit deutlich erkennbaren erheblichen Beschädigungen, die vor allem dem Fahrzeugverkehr gewidmet ist. Fußgänger dürfen hier keinen hindernisfreien Weg erwarten, wie beispielsweise bei einer Fußgängerzone. Die Straße ist zum Zeitpunkt des Vorfalls bei Dunkelheit (20:20 Uhr an einem Februartag) nicht durchgängig beleuchtet gewesen, weswegen Fußgänger in eigener Verantwortung besonders auf den Fahrbahnbelag zu achten hatten.
Durch die Aufstellung der Warnbaken mit Blinklichtern und das erkennbar vorübergehend angeordnete Einfahrtsverbot für Fahrzeuge aller Art (VZ 250 Anlage 2 zur StVO) hätte der Klägerin bewusst sein müssen, dass sie einen Baustellenbereich betritt. Wie bereits ausgeführt, hat sich der Straßenbelag schon zuvor in einem schlechten Zustand befunden. Dass bei einer Baustelleneinrichtung daher (auch) Ausbesserungsarbeiten am Straßenbelag durchgeführt werden, ist zu erwarten. Dies schließt ebenfalls Abfräsarbeiten von altem Straßenbelag mit ein. Die Beklagte hat nach den geschilderten Umständen ihre Verkehrssicherungspflicht vollumfänglich erfüllt, mehr kann von ihr nicht gefordert werden.
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