28.01.2025

Zu den Folgen eines pandemiebedingten Reiserücktritts

Der BGH hat vorliegend auf der Grundlage einer Vorabentscheidung des EuGH entschieden, welche Umstände für die Beurteilung der Frage maßgeblich sind, ob ein Reisender, der vor Beginn der Reise vom Vertrag zurückgetreten ist, von der Zahlung einer Entschädigung an den Reiseveranstalter gem. § 651h Abs. 3 BGB befreit ist.

BGH v. 28.1.2025 - X ZR 53/21
Der Sachverhalt:

+++ X ZR 53/21 +++

In diesem Verfahren buchte der Kläger bei der Beklagten im Januar 2020 eine Reise nach Japan im Zeitraum vom 3. bis 12.4.2020 zu einem Gesamtpreis von 6.148 €. Im Februar 2020 beschloss die japanische Regierung u.a., für die kommenden Wochen sämtliche Großveranstaltungen abzusagen und alle Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen. Der Kläger trat am 1.3.2020 von der Reise zurück. Die Beklagte berechnete Stornokosten i.H.v. insgesamt 1.537 € (25 % des Reisepreises), die der Kläger bezahlte. Am 26.3.2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die Rückzahlung des geleisteten Betrags.

Das AG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Rückzahlung von 1.537 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 256 €. Das LG wies die Klage überwiegend ab und reduzierte den zu zahlenden Betrag auf 14,50 € zzgl. vorgerichtlicher Kosten i.H.v. 84 €. Im Zeitpunkt des Rücktritts habe man noch nicht vom Vorliegen unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände ausgehen können, die gem. § 651h Abs. 3 BGB zu einem Ausschluss des Entschädigungsanspruchs führen. Das Einreiseverbot dürfe nicht berücksichtigt werden, weil es erst nach dem Rücktritt erlassen worden sei.

Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob nur diejenigen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände maßgeblich sind, die im Zeitpunkt des Rücktritts bereits aufgetreten sind, oder ob auch Umstände zu berücksichtigen sind, die nach dem Rücktritt, aber noch vor dem geplanten Beginn der Reise tatsächlich aufgetreten sind.

+++ X ZR 3/22 +++
In diesem Verfahren buchte der Kläger eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29.8.2020 für 8.305 €. Am 31.3.2020 trat er von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung i.H.v. 3.194 €. Die Kreuzfahrt wurde von der Beklagten am 10.7.2020 abgesagt.

AG und LG gaben der Klage statt, ließen aber offen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und bejahten einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise. Der BGH setzte das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH im Verfahren X ZR 53/21 aus.

+++ X ZR 55/22 +++
In diesem Verfahren buchten die Kläger im Juni 2019 eine Pauschalreise nach Mallorca vom 16. bis 30.5.2020 für 1.753 € und im Juli 2019 eine Flusskreuzfahrt "Wolga-Wunder und Zarenzauber" vom 5. bis 15.9.2020 für 2.376 €. Am 14.4.2020 traten sie telefonisch von beiden Reisen zurück. Die Beklagte behielt die geleisteten Anzahlungen i.H.v. insgesamt 650 € ein und verlangte zusätzlich 549 € als Entschädigungspauschale. Beide Reisen konnten wegen der Pandemie nicht stattfinden.

AG und LG gaben der Klage statt und ließen auch hier offen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB schon im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen.

+++ EuGH und BGH +++
Der EuGH entschied mit Urteil vom 29.2.2024 (C-584/22), dass nach der für die unionsrechtliche Beurteilung maßgeblichen Regelung in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) nur die Situation zu berücksichtigen ist, die im Zeitpunkt des Rücktritts bestand. Daraufhin hob der BGH in allen drei Fällen das Berufungsurteil auf und verwies die Sachen jeweils zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Aufgrund der Vorabentscheidung des EuGH dürfen weder das Einreiseverbot noch die Absage der Reise bei der Beurteilung berücksichtigt werden, weil diese Ereignisse erst nach dem Zeitpunkt des Rücktritts stattgefunden haben.

In allen drei Verfahren wird das LG nach der Zurückverweisung die Frage zu beurteilen haben, ob bereits im Zeitpunkt des Rücktritts die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB bestand. Der BGH kann über diese Frage nicht abschließend entscheiden, weil es an hierfür maßgeblichen tatrichterlichen Feststellungen fehlt.

Im zweiten und im dritten Verfahren hat das LG diese nunmehr entscheidungserhebliche Frage - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht behandelt. Im ersten Verfahren ist das LG zwar zu dem Ergebnis gelangt, im Zeitpunkt des Rücktritts sei noch nicht vom Vorliegen unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände auszugehen gewesen. Wie der BGH bereits in seiner Vorlageentscheidung vom 2.8.2022 ausgeführt hat, ist diese Beurteilung jedoch rechtsfehlerhaft.

Die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung darf nicht allein deshalb verneint werden, weil es im Zeitpunkt des Rücktritts noch nicht zu einer erheblichen Zahl von Infektionen in Japan gekommen war und die dort getroffenen Maßnahmen vor allem der Verhinderung von Infektionen gedient haben. Das LG hätte sich vielmehr mit der Frage befassen müssen, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl dieser Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte dafür begründeten, dass eine erhebliche Infektionsgefahr bestand, und nicht sicher war, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen würden, um diese Gefahr abzuwenden. Diese Frage wird es nach der Zurückverweisung zu klären haben.

Im dritten Verfahren hat der BGH ergänzend entschieden, dass die Kläger nicht schon dann zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet sind, wenn sie zunächst keine Gründe für ihren Rücktritt angegeben haben. Maßgeblich ist allein, ob im Zeitpunkt des Rücktritts tatsächlich unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorgelegen haben, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 651h Rücktritt vor Reisebeginn
Blankenburg in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Rechtsprechung
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BGH vom 15.10.2024 - X ZR 79/22
MDR 2024, 1570

Aufsatz
Die Entwicklungen des Pauschalreiserechts in den Jahren 2023/24
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2024, 1157

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