Die Verwendung von Songtexten durch ChatGPT ohne Lizenz der Urheber stellt eine Urheberrechtsverletzung dar, die zum Schadensersatz verpflichtet (LG München v. 11.11.2025 - 42 O 14139/24 - GEMA vs. Open AI)
Das Urteil des LG München
Das LG München hat am 11.1.2025 eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Gegenstand des Rechtsstreits war eine Klage der GEMA gegen Open AI. Die GEMA klagte wegen Urheberrechtsverletzungen durch das von Open AI herausgegebene KI-System ChatGPT. Es konnte nachgewiesen werden, dass ChatGPT aufgrund einfacher Eingaben der Nutzer des Systems Songtexte berühmter Künstler auswerfen konnte. Darunter waren u.a. die bekannten Songs “Atemlos durch die Nacht“ von Helene Fischer, „Über den Wolken“ von Reinhard Mey oder „Bochum“ von Herbert Grönemeyer. Da OpenAi nicht die Zustimmung der betroffenen Urheber eingeholt habe, liegt nach Auffassung des Gerichts eine Urheberrechtsverletzung vor, die Open AI zum Schadensersatz verpflichtet.
Die zugrundeliegende Rechtslage
Die Europäische KI-Verordnung (VO (EU) 2024/1689) regelt in Art. 53 (1) c), dass Anbieter von KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck verpflichtet sind, „eine Strategie zur Einhaltung des Urheberrechts der Union und damit zusammenhängender Rechte und insbesondere zur Ermittlung und Einhaltung eines gemäß Art. 4 Absatz 3 der Richtlinie (EU) 2019/790 geltend gemachten Rechtsvorbehalts“ auf den Weg zu bringen. Für jede Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte ist bekanntlich die Zustimmung des betreffenden Rechtsinhabers erforderlich, es sei denn einschlägige Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts finden Anwendung (Erw. grd 105). Mit Art. 4 Absatz 3 der vorgenannten sog. DSM-Richtlinie wurde eine Ausnahme zu Zwecken des sog Text- und Data Mining eingeführt. Im deutschen Urheberrechtsgesetz wurden die Vorschriften zum Text- und Data Mining in § 44b und § 60d (Text und Data Mining für wissenschaftliche Forschung) umgesetzt. Im vorliegenden Fall war § 44b zu prüfen. Nach § 44b Abs. 2 sind Vervielfältigungen für das Text und Data Mining von rechtmäßig zugänglichen Werken zulässig, sofern der Rechtsinhaber sich derartige Nutzungen nicht nach Absatz 3 vorbehalten hat. Bei online zugänglichen Werken ist ein Nutzungsvorbehalt nur wirksam, wenn dieser in maschinenlesbarer Form erfolgt, § 44b Absatz 3 Satz 2.
In der Literatur war die h.M. bisher der Auffassung, dass diese Text und Data Mining Ausnahme für die Nutzung von KI-Systemen wie ChatGPT anwendbar sei (vgl. die Nachweise bei Lejeune ITRB 2025, 71). Diese Auffassung wurde auch vom LG Hamburg (Urteil v. 27-9-2024 -310 0 227/23 ITRB 2025, 15, CR 2024, 751 m. Anm. Grützmacher) unterstützt. Gegen diese h.M. hatte sich allerdings eine beachtliche Gegenmeinung herausgebildet (Dornis/Stober, Urheberrecht und Training generativer KI-Modelle, 2024; Dornis, CR 2024, 830 und 765; vgl. bei Lejeune a.a.O. m.w.N). Diese Gegenmeinung wird jetzt auch vom LG München vertreten.
Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Text und Data Mining Schranke zwar grundsätzlich anwendbar ist, aber entsprechende Praktiken lediglich zu nachfolgenden Analysezwecken erlaubt sind und die Verwertungsinteressen der Urheber am Werk nicht beeinträchtigen dürften. Würden beim Training nicht nur Informationen aus Trainingsdaten extrahiert, sondern- wie im vorliegenden Fall- Werke vervielfältigt, stellt das nach Auffassung des Gerichts kein Text und Data Mining dar. Die Prämisse des Text und Data Mining und der diesbezüglichen Schrankenbestimmungen, dass durch die automatisierte Auswertung von bloßen Informationen selbst keine Verwertungsinteressen berührt sind, greife in dieser Konstellation nicht. Im Gegenteil durch die gegebenen Vervielfältigungen im Modell werde in das Verwertungsrecht der Rechteinhaber eingegriffen. Auch eine analoge Anwendung der Text und Data Mining Schrankenbestimmungen komme mangels einer vergleichbaren Interessenlage nicht in Betracht. Der Eingriff der Beklagten in die Verwertungsrechte der Klägerin sei auch nicht durch eine Einwilligung der Rechteinhaber gerechtfertigt, da das Training der Modelle nicht als eine übliche und erwartbare Nutzungsart zu werten sei, mit der der Rechteinhaber rechnen muss. Damit schließt das Gericht u.a. eine Anwendung der Grundsätze der BGH-Entscheidung v. 11.9.2024- I ZR 140/23 Coffee (CR 2025, 48) aus. Der BGH hatte in dieser Entscheidung mit einer stillschweigenden Zustimmung argumentiert, die der Rechteinhaber erteilt, wenn er sein Werk Nutzern ohne Einschränkungen frei zugänglich macht. (a.A. Lejeune ITRB 2025, 71, 75 in der Annahme, dass die Nutzung von Werken für das Training von KI-Systemen in der heutigen Zeit für jeden Urheber als übliche Nutzungsart zu erwarten ist)
Rechtslage in den USA
In den USA sind diverse Verfahren vor verschiedenen Gerichten, insbesondere in Kalifornien und New York anhängig. Kürzlich wurden zwei Entscheidungen des District Courts des Northern Districts of California bekannt (Bartz v. Anthropic PBC, No. C 24-cv-5417 June 23, 2025 (N. D. Cal.) und Kadrey v. Meta Platforms Inc. No. 23-cv-03417-VC June 25, 225 (N.D.Cal.).
In den USA konzentriert sich die juristische Debatte auf die sog. fair use doctrine nach § 107 des U.S. Copyright Acts. (siehe Lejeune US-amerikanisches Softwarevertrags- und IT Recht Rz. 62ff Beck Verlag 2021). Die fair use doctrine ist eine allgemeine Ausnahme im amerikanischen Urheberrecht, die es unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, urheberrechtlich geschützte Werke ohne die Zustimmung der betroffenen Urheber zu nutzen, sofern dies den allgemeinen Zwecken des Urheberrechts, Wissenschaft und Kunst zu fördern, entspricht. Die Doktrine wird üblicherweise als Einwand in Klagen wegen Urheberrechtsverletzungen vorgebracht und führt zur Klageabweisung, falls die Voraussetzungen der Doktrine im konkreten Fall bejaht werden können. Die Doktrine ist anwendbar, wenn die 4 im Wortlaut aufgeführten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung für eine Anwendbarkeit sprechen. Die beiden wichtigsten Kriterien sind die Frage, ob die konkrete Nutzung eines Werks für andere Zwecke erfolgt im Vergleich zu dem zugrundeliegenden Werk. Sollte das insbesondere in kommerziellem Umfeld nicht der Fall sein, spricht dieser Punkt eindeutig gegen die Anwendbarkeit der Doktrine (vgl. Andy Warhol Foundation for visual Arts Inc. v. Goldsmith (598 U.S.__2023). Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, ob durch die Anwendbarkeit der Doktrine und die damit erlaubte Nutzung des Werks der urprüngliche Urheber in der Vermarktung seines Werks behindert wird. Das ist insbesonmdere der Fall, wenn durch die Nutzung des Werks aufgrund der Doktrine am Markt eine Substitutioni m Hinblick auf das ursprüngliche Werk zu befürchten ist (A & M Records Inc. v. Napster Inc. F. 3d 1004 (9th Cir.2001).
In den beiden vorgenannten Entscheidungen wurde die Anwendbarkeit der fair use doctrine in Zusammenhang mit KI-Systemen zwar von den beiden Richtern bejaht. Aber Gegenstand der Klagen war nur die Frage, ob das Training eines KI-Systems als solches von der fair use doctrine abgedeckt ist. Dagegen war die Frage, inwieweit das auch für den Output eines KI-systems gelten könne, gerade nicht Gegenstand der Verfahren. Im ersten Fall waren dazu von den Klägern keine Argumente vorgebracht worden, im zweiten Fall konnte durch Sachverständige nachgewiesen werden, dass das sog. Llama System keinen nennenswerten Output der Originalwerke hervorbringen konnte, Die Frage, inwieweit die fair use doctrine die Nutzung von Werken ohne Zustimmung der Urheber der betroffenen Werke in den USA erlaubt, ist deshalb noch nicht geklärt und es bleibt abzuwarten wie die anhängigen Verfahren entschieden werden.
Bewertung
Das Urteil des LG München ist zu begrüßen, weil es die Position der Urheber stärkt und juristisch überzeugender ist als z.B. das erwähnte Urteil des LG Hamburg.
In Deutschland gibt es bekanntlich Neben der GEMA weitere Verwertungsgesellschaften für verschiedene urheberrechtlich geschützte Werke wie z.B. die VG Wort oder die VG Bild Kunst. Die Existenz dieser Gesellschaften dürfte es den Anbietern von KI-Systemen erleichtern, mit den Urhebern von Werken, die diese verwerten wollen, entsprechende Vereinbarungen zu treffen.
Insofern ist bemerkenswert, dass sich auch die US Copyright Office in ihrem Bericht vom 20.5.2025 (Copyright and Artificial Intelligence part 3: Generative AI Training, abrufbar unter https://www.copyright.gov/ai/Copyright-and-Artificial-Intelligence-Part-3-Generative-AI-Training-Report-Pre-Publication-Version.pdf) positiv zu einem erweiterten System der kollektiven Lizenzvergabe, bei dem die Lizenzrechte von einer Verwertungsgesellschaft verwaltet werden, ausgesprochen hat. Insofern sollte noch erwähnt werden, dass Anthropic sich bereit erklärte, den Rechtsstreit durch einen Vergleich zu beenden und den Klägern 1,5 Milliarden US-Dollar zu zahlen (etwa 3000 US-Dollar pro Autor) (abrufbar unter https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.cand.434709/gov.uscourts.cand.434709.362.0.pdf).
Da bisher sowohl in Deutschland wie in den USA nur Entscheidungen von Gerichten erster Instanz vorliegen und davon auszugehen ist, dass die Anbieter von KI-Systemen Berufung gegen für sie nachteilige Urteile einlegen werden, bleibt abzuwarten wie die Frage nach der Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke im Rahmen von KI-Systemen letztendlich entschieden wird und ob ggfs. der Gesetzgeber eingreifen und die bestehenden Regelungen ändern wird