16.07.2025

KI-Kompetenzpflicht konkret: Das neue Hinweispapier der Bundesnetzagentur

Portrait von Dr. Inka Knappertsbusch, LL.M.
Dr. Inka Knappertsbusch, LL.M. Dr. Inka Knappertsbusch, LL.M. Rechtsanwältin | Counsel Fachanwältin für Arbeitsrecht (Certified lawyer for labor and employment law) Betriebliche Datenschutzbeauftragte (IHK) (Certified data protection officer)

Ein Beitrag von Dr. Inka Knappertsbusch, LL.M. und David Rappenglück

 

Seit dem 2. Februar 2025 ist Art. 4 KI-Verordnung (VO (EU) 2024/1689, KI-VO) anwendbar: Unternehmen müssen sicherstellen, dass alle mit KI-Systemen befassten Personen über ein „ausreichendes Maß“ an KI-Kompetenz verfügen (zu den Compliance-Pflichten ausführlich Knappertsbusch/Rappenglück, CR 2025, 281). Die Umsetzung dieser neuen Compliance-Vorgabe stellt viele Organisationen jedoch vor offene Fragen – insbesondere im Hinblick auf Inhalt, Maßstab und Nachweispflichten.

In der Praxis wirft diese Vorgabe jedoch zahlreiche Umsetzungsfragen auf, die bislang nur punktuell – etwa durch die FAQs der EU-Kommission zur „AI Literacy“ – beantwortet wurden (siehe hierzu auch: FAQ der EU-Kommission zur KI-Kompetenz nach Art. 4 KI-VO: Was für Arbeitgeber gilt – und ab wann – CR-online.de Blog).

Mit einem im Juni 2025 veröffentlichten Hinweispapier zu

"KI-Kompetenzen nach Artikel 4 KI-VO" (abrufbar unter: Bundesnetzagentur/KI-Kompetenz)

hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) nun eine erste Orientierung geboten. Der Zeitpunkt und die Ausgestaltung des Hinweispapiers deuten darauf hin, dass es eine zentrale Rolle in der künftigen Aufsichtspraxis spielen könnte. Der Beitrag ordnet das Hinweispapier rechtlich ein, analysiert zentrale Inhalte und zeigt, welche konkreten Maßnahmen Unternehmen jetzt ergreifen sollten.

1. Einordnung und Zielrichtung des Hinweispapiers

Das im Juni 2025 veröffentlichte Hinweispapier stellt einen der  ersten nationalen Versuche dar, die Anforderungen an die KI-Kompetenz nach Art. 4 KI-VO zu konkretisieren. Es wurde von der BNetzA herausgegeben, obwohl diese bislang nicht förmlich als zuständige Marktüberwachungsbehörde benannt ist. Der aktuelle Referentenentwurf zum KI-Marktüberwachungsgesetz (§§ 12 und 14 KIMÜG-RefE) sieht jedoch vor, ihr genau diese Rolle zu übertragen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Veröffentlichung des Hinweispapiers auch als strategische Vorbereitung auf eine künftige Überwachungsfunktion.

Das Hinweispapier versteht sich selbst ausdrücklich als unverbindliche Orientierungshilfe (Hinweispapier, S. 1). Gleichwohl ist davon auszugehen, dass seine Inhalte – insbesondere im behördlichen und unternehmenspraktischen Kontext – faktisch als Maßstab für die Umsetzung der neuen Compliance-Pflichten dienen werden. Die BNetzA betont die Bedeutung der KI-Kompetenz als Schlüsselvoraussetzung für die sichere, sachgerechte und verantwortungsvolle Nutzung von KI-Systemen.

Zur Auslegung von „KI-Kompetenz“ verweist das Hinweis­papier auf Art. 3 Nr. 56 KI-VO: Gemeint ist ein Zusammenspiel aus Fähigkeiten, Wissen und Verständnis für die sachkundige, reflektierte und rechtskonforme Nutzung von KI – interdisziplinär, auch mit rechtlichen und ethischen Aspekten.

Der Kompetenzaufbau ist mehr als Compliance: Er stärkt Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit. Als „Enabler“ befähigt KI-Kompetenz Organisationen, fundierte Entscheidungen zu treffen, Grundrechte zu wahren und die KI-VO wirksam umzusetzen – entlang der gesamten Wertschöpfungskette (Hinweispapier, S. 3).

2. Zentrale Aussage

a) Adressatenkreis und Anwendungsbereich

In Bezug auf den Adressatenkreis bestätigt das Hinweispapier die weite Auslegung des Art. 4 KI-VO. Betroffen sind nicht nur interne Beschäftigte, sondern auch externe Akteure, die im Auftrag eines Unternehmens tätig sind – etwa Dienstleister oder Berater. Auch der Einsatz generativer KI-Systeme mit allgemeinem Verwendungszweck löst die Pflicht zum Kompetenzaufbau aus (Hinweispapier, S. 2).

Entscheidend für die Umsetzung ist vor allem, dass sich die Maßnahmen am Nutzungskontext, der Systemkomplexität und dem Erfahrungsstand der betroffenen Personen orientieren. In dieser Hinsicht folgt das Hinweispapier einem flexiblen, aber zugleich strukturierten Ansatz (vgl. Hinweispapier, S. 1 und 2).

b) Empfohlene Elemente zur Umsetzung

Zur praktischen Ausgestaltung der Pflicht empfiehlt die BNetzA mehrere Elemente, die sich an den typischen Phasen betrieblicher Schulung orientiert (vgl. Hinweispapier, S. 4 ff.). Ausgangspunkt ist die systematische Ermittlung des Schulungsbedarfs. Hierbei sollen sowohl die Art der eingesetzten KI-Systeme als auch die Rollen der beteiligten Personen und das damit verbundene Risiko berücksichtigt werden.

Darauf aufbauend können kontextbezogene Maßnahmen wie Workshops, E-Learnings oder Praxistrainings entwickelt werden – standardisiert müssen sie nicht sein. Vielmehr betont die BNetzA die Relevanz passgenauer Formate, die sich an konkreten Risiken und Anforderungen orientieren.

KI-Kompetenz wird als dynamischer Prozess verstanden, der sich laufend an technischen Entwicklungen und Regulierung anpasst. Empfohlen wird eine nachvollziehbare Dokumentation (Art, Dauer, Inhalte, Teilnehmende) zum Nachweis der Pflichterfüllung bei möglichen Prüfungen.Dabei betont das Hinweispapier ausdrücklich, was Art. 4 KI-VO gerade nicht verlangt: Es besteht weder eine Pflicht zu formellen oder standardisierten Trainingsformaten noch zu externen Zertifizierungen. Auch die Einführung eines KI-Beauftragten ist nicht nach der KI-VO vorgesehen (Hinweispapier, S. 3 und 5). Entscheidend ist vielmehr, dass Organisationen eigenverantwortlich ein angemessenes Kompetenzniveau sicherstellen – und dies auch dokumentieren. Ein Mangel an KI-Kompetenz kann im Schadensfall als Verstoß gegen die organisationsbezogene Sorgfaltspflicht gewertet werden (Hinweispapier, S. 3).

c) Verhältnis zu den EU-FAQs

Inhaltlich korrespondiert das Hinweispapier in vielen Punkten mit den EU-FAQs zur „AI Literacy“. Beide Dokumente betonen den verbindlichen Charakter der Pflicht, die umfassende Zielgruppe sowie die Flexibilität bei der Umsetzung. Während die EU-FAQs stärker auf den rechtlichen Rahmen und die Grundlogik der KI-Verordnung fokussieren, geht das Hinweispapier der BNetzA einen Schritt weiter: Es liefert konkrete Umsetzungsansätze und benennt operative Handlungsempfehlungen, insbesondere hinsichtlich der Bedarfsanalyse und der Dokumentation.

Eine weitere Differenz liegt in der Tonalität. Die EU-FAQs sind auf EU-weite Kohärenz angelegt und enthalten bewusst keine konkreten Musterlösungen. Das Hinweispapier der BNetzA hingegen geht deutlich weiter und stellt Organisationen auch praktische Ressourcen zur Verfügung. Neben methodischen Empfehlungen verweist es auf zahlreiche kostenlose Unterstützungsangebote – etwa durch das AI Office der EU-Kommission, die European Digital Innovation Hubs (EDIHs), das Netzwerk Mittelstand-Digital oder den KI-Campus. Diese Angebote richten sich besonders an KMUs und öffentliche Einrichtungen und reichen von Webinaren über Schulungsprogramme bis hin zu spezifischen Tools wie dem „KI-Readiness Check“ (Hinweispapier, S. 6 u. 7)

Besonders praxisnah sind auch die im Hinweispapier enthaltenen konkreten Anwendungsbeispiele, etwa von Asimov AI S.R.L. oder EnBW. Sie zeigen, wie sowohl kleine als auch große Unternehmen ihren KI-Kompetenzaufbau bedarfsorientiert, kontextgerecht und adressatengerecht gestalten können – von Einführungsgesprächen über tool-spezifische Schulungen bis hin zu e-Training-Lehrplänen (Hinweispapier, S. 7).

3. Bedeutung für die Praxis und aufsichtsrechtliche Einordnung

Auch wenn die BNetzA formal bislang nicht als Marktüberwachungsbehörde im Sinne von Artikel 70 KI-VO benannt wurde, ist ihre Positionierung eindeutig. Der Referentenentwurf für ein KIMÜG sieht sie als zentrale Stelle vor, die ein ressortübergreifendes Koordinierungszentrum für KI-Marktüberwachung aufbauen soll. Mit ihrem Hinweispapier übernimmt die BNetzA bereits jetzt faktisch eine Vorreiterrolle in der nationalen Umsetzung der KI-Verordnung.

Für Unternehmen bedeutet das: Zwar ist das Hinweispapier rechtlich nicht verbindlich, es dürfte jedoch als maßgeblicher Prüfmaßstab der Aufsichtsbehörden bei der Auslegung und Anwendung von Art. 4 KI-VO herangezogen werden.  Es empfiehlt sich daher, die vorgeschlagenen Umsetzungsschritte – Bedarfsanalyse, Maßnahmenkonzeption, kontinuierliche Auffrischung und Dokumentation – zeitnah und systematisch in die eigenen Compliance-Prozesse zu integrieren.

4. Fazit

Mit dem Hinweispapier zur KI-Kompetenzpflicht hat die BNetzA eine fundierte und praxisorientierte Auslegung des Artikel 4 KI-VO vorgelegt. Das Hinweispapier füllt eine bislang bestehende Lücke zwischen dem rechtlichen Normtext und der operativen Umsetzung. Auch wenn es sich um keine formell verbindliche Vorgabe handelt, entfaltet es faktisch hohe Relevanz: Unternehmen erhalten einen strukturierten Rahmen für den Aufbau von KI-Kompetenz – ein Thema, das künftig zunehmend in den Fokus von Aufsichtsbehörden, Geschäftsleitung und Compliance-Abteilungen rücken wird.