12.12.2025

Frankreichs Zivilprozess wird neu geschrieben: Der Vorrang der einvernehmlichen Streitbeilegung

Portrait von PD Dr. Martin Zwickel, Maître en droit
PD Dr. Martin Zwickel, Maître en droit Akademischer Oberrat, Erlangen

Mit Wirkung zum 1. September 2025 hat unser Nachbarland Frankreich ein völlig neues Kapitel in seinem Zivilprozessrecht aufgeschlagen und setzt die einvernehmliche Streitbeilegung in den Vordergrund. Durch eine Reform, die ausschließlich auf dem Verordnungswege (nicht per Gesetz) realisiert wurde, wird der Einsatz des staatlichen Gerichtsverfahrens zur ultima ratio.

Die wichtigsten Säulen der Reform sind die Neukodifikation der alternativen Konfliktlösung (AKL) in einem neuen Buch der französischen Zivilprozessordnung (Code de procédure civile – CPC), die Stärkung der richterlichen Lotsenfunktion in Richtung der einvernehmlichen Streitbeilegung und die Integration der einvernehmlichen Streitbeilegung in das zivilprozessuale Verfahren.

  1. Das neue fünfte Buch zur ADR im Code de procédure civile

Ein zentraler Pfeiler der Reform, die durch das Dekret Nr. 2025-660 vom 18. Juli 2024 realisiert wurde, ist die vollständige Neukodifikation des fünften Buches der französischen Zivilprozessordnung (Code de procédure civile – CPC). Dieses neue Buch mit dem Titel „Die einvernehmliche Streitbeilegung“ (La résolution amiable des différends) schafft ein kohärentes Regelwerk für die verschiedenen Instrumente der ADR und enthält allgemeine Regeln, z. B.  zur Vertraulichkeit in ADR-Verfahren.

  1. Der Richter als Konfliktlotse

Das gerichtliche Verfahren wandelt sich von der Standardoption zu einer von vielen alternativen Möglichkeiten der Streitbeilegung im Zivilrecht. Der zu den Grundsätzen des Zivilprozesses (principes directeurs du procès) zählende Auftrag des Zivilrichters, auf gütliche Streitbeilegung hinzuwirken (Art. 21 CPC) wird um eine ganz konkrete Aufgabe ergänzt. Der Richter hat nun mit den Parteien das geeignete Streitbeilegungsverfahren auszuwählen. Der Richter wird dadurch zum Konfliktlotsen, das Gericht zur primären Konfliktanlaufstelle.

Zudem kann der Richter die Parteien zur Teilnahme an einem Informationsgespräch zu Ziel und Ablauf von Mediation oder Schlichtung verpflichten (Art. 1533 CPC). Erscheint eine Partei ohne vernünftigen Grund (motif légitime) nicht zu einer solchen Informationssitzung, kann das Gericht eine Strafzahlung (amende civile) von bis zu 10.000 € verhängen.

  1. Die Integration von ADR in das Gerichtsverfahren

Auch innerhalb des gerichtlichen Verfahrens wird die Kooperation der Parteien gefördert.

Das Dekret vom 18. Juli 2025 führt beispielsweise mit der instruction conventionnelle die einvernehmliche Beweisaufnahme als Standardweg ein. Die richterliche Durchführung der Beweisaufnahme wird zur ultima ratio. Die Parteien können das Beweisaufnahmeverfahren durch einen Prozessvertrag selbst gestalten, z. B. durch die Beauftragung eines Sachverständigen.

 

Wenn Sie mehr zur einvernehmlichen Streitbeilegung im neuen französischen Zivilprozess erfahren wollen, lesen Sie gerne den Beitrag „Ein neues Kapitel für den französischen Zivilprozess: Vorrang für die einvernehmliche Streitbeilegung“ in ZKM 6/2025.